Niemand ist eine Insel (German Edition)
Durchreise hier‹.«
»Ja, und?«
»Mit diesem Satz haben Sie Ihr ganzes Leben beschrieben.«
16
D ieser Pietro Cossa, dieser römische Bildagentur-Chef, also der rief wirklich an – zwei Minuten nachdem Ruth und ich einen Telefonapparat im Zimmer von Notti eingestöpselt hatten. Der athletische Arzt von vorhin hatte schön auf Hasenscharte achtgegeben, und als das Telefon dann läutete und ich Notti sagte, Signor Cossa wünsche ihn zu sprechen, sah er mich an wie eine Kuh, wenn’s donnert, und ich mußte ihm den Hörer geradezu in die Hand drücken und die Hand ans Ohr heben. Dieser Cossa ließ Notti überhaupt nicht zu Wort kommen, der brüllte ihn vom ersten Moment derartig an, daß Notti kaum ab und zu ein ›prego!‹ zur Konversation beisteuern konnte. Was so die Aussicht auf 100000 Mark (oder jedenfalls einen großen Teil davon) alles bewirkt, dachte ich. Nach einer Viertelstunde war Notti erledigt. Als er den Hörer hinlegte, war er so schwach, daß er mich nicht einmal voll Haß anschauen konnte.
»Alles kapiert?« fragte ich ihn.
Er nickte und beleckte die aufgesprungene Lippe.
»Ich fliege mit Ihnen«, sagte er leise. »Haben Sie keine Angst, ich mache keinen Skandal, ich bin ganz ruhig, ich bin ganz friedlich.« Dann sagte er: »Dieser Hund.« Jetzt haßte er seinen Chef. Irgendwen mußte der wohl immer hassen, mein kleiner Italiener.
»Na ja, dann«, sagte ich, »let’s go, young friend.«
»Aber doch nicht so!« sagte Ruth. »Wir müssen ihn wenigstens ein bißchen menschlich herrichten. Sonst hält Sie ja der erste Polizist an.« Zu Notti sagte sie: »Kommen Sie mit mir.«
»Ja, Madame. Sofort, Madame. Gewiß, Madame. Danke, Madame«, stammelte Notti, während er vom Bett glitt und die Schuhe anzog und nach seiner Jacke suchte. Der Arzt half ihm wie einem Baby. Reizender Kerl, dieser Bulle von Arzt, wirklich, mein Herr Richter.
Ich sagte leise zu Ruth: »Verzeihen Sie mir.«
Sie fragte: »Was?«
»Alles, was Sie tun für mich, ist doch ungesetzlich.«
»Natürlich, Herr Norton«, sagte sie und sah mich an. Ruhig und ernst. »Absolut ungesetzlich.«
»Wenn Sie jemals irgendwelche Schwierigkeiten mit der Polizei bekommen, nehme ich alles auf mich. Ich habe Sie gezwungen … ich … ich gebe dann alles zu …«
»Hören Sie auf!«
»Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß Sie meinetwegen in Schwierigkeiten kommen!«
»Ich komme schon in keine. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß Sie meinen, ich hätte das für Sie getan.«
»Für wen denn?«
Sie sah mich nur an.
»Darf ich noch einmal zu ihr?« fragte ich, immer noch deutsch, sehr leise. »Gehen sie hinüber«, sagte Ruth. »Sie kennen sich hier ja aus. Sie haben etwas Zeit. Kommen Sie dann in die Unfallstation.«
17
W erde gesund. Ganz gesund. Bitte. So vieles steht auf dem Spiel. Ich will dich auch wirklich lieb haben und immer mit dir spielen und alles tun, was du verlangst. Aber werde gesund. So viele Menschen kommen in schreckliche Situationen, wenn du es nicht wirst. Gib dir Mühe. Bitte, bitte, bitte, gib dir Mühe. Ich weiß, du hast es jetzt am schwersten. Aber wenn du dir Mühe gibst, wirst du leichter gesund. Man wird leichter gesund, wenn man gesund werden will. Du kannst dir auch wünschen, was du willst, du bekommst alles von mir. Weißt du, es stimmt eigentlich nicht, daß du mir zum Kotzen warst. Ich meine: Du. Mir waren alle Kinder immer zum Kotzen. Und dann warst du mir auch so oft im Weg. Und das Theater, das ich deinetwegen seit Jahren spielen mußte. Aber ich schwöre dir, ich spiele kein Theater mehr, ich habe dich wirklich lieb, so wie du mich, wenn du jetzt nur gesund wirst. Bitte.
Ich stand vor dem großen Bett, und Babs lag da, seitlich, so verloren und klein, und nur die blaue Lampe brannte. Eine Schwester lag angezogen auf der Couch beim Fenster. Sie hatte sich mit einer Wolldecke zugedeckt, denn es war nicht sehr warm hier.
Sie hatte eine von diesen kleinen elektrischen Lampen, die man überall anklemmen kann, am Fenstersims befestigt, und im Schein der Lampe las diese Schwester. Ich weiß noch, was sie las: L’ESPOIR von André Malraux.
Ich sah wieder zu Babs, und ich bat sie, gesund zu werden, noch oft, aber es hat doch alles keinen Sinn, dachte ich zuletzt. Ich hätte genausogut zu einer Marmorfigur reden können. Ich sagte der Schwester gute Nacht, und sie nickte und las weiter in der HOFFNUNG von Malraux, und ich verließ das Krankenzimmer. Da war es knapp vor halb
Weitere Kostenlose Bücher