Niemand ist eine Insel (German Edition)
glückliche Familie. Nur so, meine Freunde, kann man wirklich gute, internationale Filme machen.«
»Und wie recht Sie da haben, Monsieur Gintzburger«, flötete Anwalt Lejeune. »Mein Gott, wie recht!« Ich sah ihn an. Seine Totalglatze leuchtete im Licht eines Kronleuchters. Und er mußte – des Bauches wegen – wieder weit weg vom Tisch sitzen.
»Unser Denken ist weltweit«, sagte Joe, »und unser schöpferischer Drang wird immer aufs neue gespeist von der Kraft, die aus unserer humanen Gesinnung kommt.«
»Bravo!« sagte Anwalt Lejeune. Jetzt machte er sich über eine Käseplatte her.
»Was aber wären wir ohne unsere Sylvia«, sagte Joe und sah zur Zimmerdecke empor. »Diese wunderbare Frau. Diese herrliche Frau. Diese größte Filmschauspielerin, die ich kenne. Warum die größte?« Er wollte sich selbst die Frage beantworten, aber sein Public-Relation-Mann kam ihm zuvor, ein sehr smarter Junge.
»Weil sie die meiste Menschlichkeit mitbringt, die meiste Güte, das tiefste, reinste Gefühl!« sagte dieser PR-Mann.
»So ist es«, sagte Joe, während ich an die Menschlichkeit, die Güte und das tiefste, reinste Gefühl denken mußte, das Sylvia da in der Garderobe des Fernsehsenders TMC zum Ausdruck gebracht hatte. »Ich sage Ihnen schon jetzt, meine Freunde, sogar VOM WINDE VERWEHT hat nur einen Bruchteil des Geldes eingebracht, den uns Sylvia und der KREIDEKREIS einbringen wird – ach was, das kann man gar nicht vergleichen! Sylvia wird alle Mütter der Welt erschüttern, Sylvia wird ihnen zeigen, was das ist – eine Mutter!« Er sah zu Lejeune. »Haben Sie noch eine Mutter, lieber Freund?«
»Ja, Monsieur Gintzburger.« Und ein Stückchen Camembert auf das Tischtuch.
»Dann tragen Sie sie auf Händen, lieber Freund.«
»Das tue ich, Mister Gintzburger.« Und noch ein Stückchen.
»Tragen Sie Ihre Mutter auf Händen«, sagte Joe, und seine Stimme zitterte vor Rührung. »Denn dies ist das größte Glück: Wenn man noch eine Mutter hat. Ich habe …« – Joe mußte seine Nase putzen – »… keine mehr. Mütter! Das Verehrungswürdigste auf der Welt! Deshalb machen wir den KREIDEKREIS, meine Herrschaften!«
Ich sah den Regisseur da Cava an. Er erwiderte meinen Blick verwirrt und unglücklich. Du wirst noch was erleben, dachte ich. Hoffentlich hast du gute Nerven, um dich durchzusetzen gegen dieses Erzschwein Gintzburger.
»Es gibt Leute, die lachen über meine Ansicht«, sagte Joe und schüttelte, ob dieser Tatsache erschüttert, den Kopf. »Schauen Sie sich die Filme von diesen Leuten an! Was machen die denn, ha? Moderne Kunst machen sie, sagen sie. Moderne Kunst!« Er faltete die Hände. »Cineasten! Was tun die mit einer Mutter in ihren Filmen? Mit einer armen, mit einer kranken Mutter? Na, was? Auf den Schädel geben sie ihr eins! Die Treppe runter werfen sie die alte, arme Mutter!« Er hob die Stimme. »Immer noch mal fest drauf auf die alte Dame! Schmeißt der alten Dame doch einen Teller mit heißer Suppe ins Gesicht! Und noch einen Fußtritt! So!« Er trat mit einem zierlichen Bein in die Luft. » Das ist Kunst, meine Freunde! Das ist modern! Und wenn diese elenden Narren dann pleite gehen, wundern sie sich. Ist es nicht so?« Er sah seine Anwälte an. Einer sagte: »Genauso ist es, Joe.«
Der spanische Regisseur räusperte sich energisch. Joes smarter PR-Mann bemerkte sofort, daß hier bald etwas schieflaufen würde, wenn das so weiterging. Er sagte zu da Cava: »Mister Gintzburger ist einer der großen alten amerikanischen Produzenten. Wie Louis G. Mayer. Ich habe für Mayer gearbeitet. Dieselben Charaktere! Haargenau! Eine Journalistin des NEW YORKER, Lillian Ross, hat einmal ein Buch geschrieben, es hieß ›Film‹. Darin beschreibt sie auch Mister Mayer. Müssen Sie lesen, Mister da Cava.« Der Spanier nickte. »Sie zitiert in dem Buch Thoreau. Thoreau hat gesagt, die meisten von uns führen ein Leben der stillen Verzweiflung. Nun, wir von SEVEN STARS sind der Ansicht, daß Filme in eine bessere und nicht in eine schlechtere Stimmung versetzen sollen.«
»You are goddamned right, Charley«, sagte Gintzburger. »Und damit sind wir beim Kern der Sache. Unsere wunderbare Sylvia hat ein entsetzlicher Schicksalsschlag getroffen. Wir alle wissen, wie sehr sie Babs liebt. Und nun ist Babs derartig schrecklich erkrankt.« Er hatte sein Frühstück beendet, zog eine Aluminiumhülle aus der inneren Brusttasche der Jacke und entnahm ihr eine riesige Zigarre, deren Spitze er
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