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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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der Anwesenden hatten gerötete Augen und kaum Appetit, und dieses Frühstück wirkte wie etwas absolut Unwirkliches – das Licht, die bleichen Gesichter, Joes Bibelverkäuferstimme, all diese Leute, von denen die meisten einander nicht kannten, trugen dazu bei. Es war, als frühstückten wir in einer gutgeheizten Leichenhalle, und das Luxuriöse dieser Halle machte alles noch unwirklicher. Von uns allen entwickelten nur zwei Menschen enormen Appetit. Die zwei waren Joe Gintzburger und sein Pariser Anwalt Lejeune. Die beiden vertilgten Porridge, Ham-and-Eggs, Hörnchen mit Butter und allerlei Marmelade, Lejeune hatte sich noch eine zweite Portion Ham-and-Eggs kommen lassen (vier Eier jedesmal!), und er fraß wieder wie ein Schwein. Ich brachte nur starken schwarzen Kaffee hinunter. Der Grund dafür, daß ich so munter war, bildete die Wirkung von zwei Tabletten Perniton. Ich hatte dieses – von den Ärzten mit Recht verpönte – Mittel stets bei mir, ich beschaffte es mir immer wieder. Es gab Situationen, da brauchte ich es einfach. Dies war so eine Situation. Perniton macht hellwach, läßt einen nicht einschlafen, ganz klar denken und dazu noch scharf sein bis zum Verrücktwerden. Bevor ich die zwei Tabletten auf dem Rückflug nach Paris geschluckt hatte, war ich nicht nur absolut geschafft, sondern auch absolut impotent gewesen. Jetzt, mein Herr Richter, wenn jetzt eine Frau fünf Meter weit von mir entfernt vorbeiging, war sie schon schwanger!
    Alle anderen, wie gesagt, auch Rod Bracken, schliefen mehr als sie wachten, aber sie bezeugten selbst noch in diesem Zustand Joe Gintzburger ihren ungeheueren Respekt und ihre gar nicht zu beschreibende Ergebenheit. Wie’s der Brauch ist in unserer Industrie.
    »Dasselbe«, sagte Joe, »gilt für meinen Freund Maître Lejeune. Auch er hat sich geopfert, er hat ein Wunder vollbracht.«
    »Nicht doch«, tirilierte in reiner, klarer Kastratenstimme der fettleibige Anwalt mit den Hamstertaschen an den Wangen verschämt, aber so, als sei in Wahrheit ich der letzte Dreck und er habe wirklich ganz allein und mit Hilfe seines Ingeniums die Lage – bisher – gerettet. Man muß gerecht sein: Das hatte er auch! Die zwei Worte allerdings, die er mit einem Mund voll Brot und Marmelade sprach, genügten, um auch das Tuch dieses Tisches vollkommen zu versauen. Es war offenbar Lejeunes persönliche Note.
    Außer Joe, Rod, Lejeune und mir waren noch anwesend: ein Public-Relation-Mann der SEVEN STARS, drei amerikanische Anwälte, die Joe mitgebracht hatte, ein Mann, der aussah wie ein Arzt, und der Regisseur des KREIDEKREIS-Films, der gedreht werden sollte, der Spanier Julio da Cava. Ihn kannte ich wenigstens von Bildern und dem Namen nach. Er war mit Rod und Lejeune von Madrid heraufgekommen.
    Ich trank Kaffee und hörte Joe reden, aber ich verstand nicht, was er sagte. Dagegen tönte in meinen Ohren Ruths Stimme: »In dieser Situation müssen Sie wieder nach Nürnberg kommen, Herr Norton. So schnell wie möglich. Ich weiß, Sie werden es tun. Denn es ist niemand da, der uns Ärzten hilft, Babs zu helfen. Allein können wir das nicht. Wir brauchen Sie jetzt dringend, Herr Norton.«
    Sie hatte ein Taxi für mich gerufen und war mit mir bis zum Ausgang des Kinderkrankenhauses gegangen. Als der Mietwagen kam, hatte sie beide Hände auf meine Schultern gelegt und, ganz nahe vor mir, noch gesagt: »Sie sind jetzt wichtiger für Babs als jedes Medikament.«
    Und ich hatte (Gott, war mir Babs – bei aller, wie ich meinte, selbstsüchtigen Angst um sie – da noch immer egal!) auch etwas Seltsames getan: Ich hatte eine Hand der Ärztin genommen und geküßt. Sie war zurückgeschreckt und in das Krankenhaus gelaufen, noch bevor ich in das Taxi gestiegen war, um zum Flughafen zu fahren, wo Sylvias Jet stand …
    »… sehen Sie, meine Freunde, wir alle tun und werden tun, was wir können, damit unsere Sylvia den KREIDEKREIS, dieses herrliche Mutter-Drama …« (Der hat nicht eine Zeile Brecht gelesen, dachte ich, als Joes Stimme wieder an mein Ohr drang, oder er kann einfach nicht kapieren, worum es im KREIDEKREIS wirklich geht – armer da Cava, du wirst noch deine Freude mit dem Hund haben!) »… die größte unserer bisherigen Produktionen, auch realisieren kann – trotz des Unglücks mit Babs …« Diese Samtstimme, dieses seelenvolle Lideraufschlagen! »Wir alle, wir alle von SEVEN STARS – der berühmteste Schauspieler, der letzte Kabelträger – sind eine einzige,

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