Niemand ist eine Insel (German Edition)
langen Krankenhausgang geeilt – bis zum Zimmer von Babs. Dann stand ich vor dem kleinen Bett und nannte den Namen des kleinen Mädchens. Danach ereignete sich, was ich eben beschrieben habe.
Ich richtete mich auf. Ruth stand dicht neben mir, nur sehr schwach beleuchtet vom Licht der Taschenlampe, die bodenwärts schien. Als ich Ruth ansah, lächelte sie – wie so oft, wenn sie am Bett eines kranken Kindes stand; ihr Lächeln, mit dem sie Zuversicht und Hoffnung schenkte.
»Nun?« fragte sie, und da war Seligkeit in ihrer Stimme, die Seligkeit aller Mütter der Welt über das Glück im Anblick ihrer Kinder. Ihrer Kinder!
»Nun was?«
»Nun, Babs hat Phil gesagt, Herr Norton!« Ruths Worte überstürzten sich. »Sie hat Sie sofort erkannt! Ist das nicht wunderbar?«
»Ja«, sagte ich und fühlte mein Herz laut klopfen bei der Betrachtung dieser nur mittelgroßen Frau in ihrem weißen Kittel. »Ja, Frau Doktor, das ist wunderbar …«
»Sie ist nicht mehr desorientiert! Auch das Fieber ist gesunken!«
»Auf wieviel?«
»Achtunddreißigneun. Babs kann auch wieder fast ausgestreckt liegen, die Gliederspannung ist zurückgegangen. Seit drei Tagen keine Biotsche Atmung mehr, Herr Norton! Seit sie hier in Nürnberg ist, kein einziger Krampf! Herztöne ganz normal! Schmerzempfindlichkeit wesentlich gesunken.«
»Wie sehr?«
»Sie können jetzt schon ihre Haut berühren, ohne daß sie aufschreit, Herr Norton! Die Nackenstarre geht zurück. Das Ohr eitert noch. Die Lähmungserscheinungen der linken Extremitäten sind noch da, aber nicht mehr so ausgeprägt. Sie verträgt alle Mittel, alle Infusionen, insbesondere spricht sie auf das Breitbandantibiotikum phantastisch an! Nach menschlichem Ermessen …«
»Ja, Frau Doktor?«
»… ist die größte Gefahr vorüber«, sagte Ruth. »Wir haben Babs heute früh ganz genau untersucht – noch zwei andere Oberärzte und der Professor. Ich glaube, Babs wird leben!«
»… eben«, sagte Babs, wie ein Echo.
»Aber ihre Augen«, sagte ich.
»Was ist mit ihnen?«
»Sie schielt doch so nach innen – haben Sie das nicht gesehen?«
»Lähmungserscheinungen der Muskulatur. Können Sie sich nicht mehr an Paris erinnern, Herr Norton? Da waren praktisch die Lider völlig gelähmt!«
»Ja«, sagte ich, und da ich dies schreibe, mein Herr Richter, stelle ich fest, daß ich mich angesichts dieser mir vorgezeigten und gepriesenen Besserungen in Babs’ Befinden in einem Zustand befand, den Sie, Sie Kenner der Menschen, vielleicht (vielleicht!) verstehen und verzeihen werden. Ich dachte: Ich wünsche Babs alles Gute. Aber sie soll doch nicht gleich ganz gesund, wenigstens noch lange, lange Zeit nicht ganz gesund werden, denn wenn sie ganz gesund ist, muß sie das Krankenhaus verlassen. Und ich mit ihr. Solange sie noch krank ist, muß sie im Krankenhaus bleiben. Und ich bei ihr. Und bei Ruth. Bei Ruth! Um ihretwillen bin ich doch hier. Diese Frau übt auf mich eine mir unbegreifliche Anziehungskraft aus.
»Aber das wird … ich fürchte, das wird noch lange dauern, bis Babs wieder ganz auf den Beinen ist«, sagte ich.
»Auf den Beinen«, wiederholte Ruth, und das Lächeln war wie weggewischt. »Herr Norton, wir haben das Kind außer Lebensgefahr gebracht, mehr haben wir noch nicht getan! Alles andere wird natürlich auf sich warten lassen, man weiß nicht, wie es sich entwickelt. Sie dürfen keine Wunder erwarten.«
»Das tue ich ja nicht, Frau Doktor! Keine Lebensgefahr mehr. Das allein ist fast schon ein Wunder. Ich danke Ihnen!«
»Nicht mir«, sagte sie.
»O doch«, sagte ich. »Ihnen, Frau Doktor, danke ich.«
37
H exlein!«
»Ja, mein Wölfchen.« Sylvias Stimme kam langsam und etwas verschmiert aus dem Telefonhörer an mein Ohr. Delamare hatte sie weiß Gott ordentlich ›niedergespritzt‹, wenn sie jetzt noch so sprach. »Ich habe so schrecklich auf deinen Anruf gewartet. Der Professor hat mir schon erzählt, wo Babs jetzt mit dir ist. Ich bin schuld daran.«
»Unsinn.«
»Kein Unsinn. Ich habe die Nerven verloren. Ich … ich bin eine Mutter. Und Babs ist mein Kind. Und ich mußte einfach zu ihr – es tut mir so leid, was ich angerichtet habe. Wie geht es Babs?«
»Besser, Hexlein! Viel besser! Keine Lebensgefahr mehr! Sie hat mich sofort erkannt und mit ›Phil‹ angesprochen. Ich …«
»Ich weiß, du kannst jetzt nicht zu mir kommen, Wölfchen … Das ist furchtbar … Aber meine Karriere … Du wirst mich anrufen, ja?«
»Ja.«
»Jeden
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