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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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nach Nürnberg an meinen Freund schicken.«
    »Wer ist Ihr Freund in Nürnberg?«
    Immer noch bohrte Lejeune im Mund.
    »Ich muß doch mal zum Zahnarzt gehen«, sagte er. »Was haben Sie gefragt?«
    »Wer Ihr Freund in Nürnberg ist.«
    Lejeune lachte.
    »Was ist so komisch?«
    »Es ist ein Mann, der Wigbert Sondersen heißt. Hauptkommissar im Polizeipräsidium Nürnberg. Mordkommission.«
    »Was?«
    »Komisch, wie?«
    »Hören Sie …«
    »Sondersen und ich sind alte Freunde. Ich habe einmal hier bei unserer Mordkommission durchgesetzt, daß man Sondersen einen großen Gefallen getan hat. Leute wie wir müssen zusammenhalten, nicht?«
    »Was kann ein Mann der Mordkommission der Paßabteilung befehlen? Einen falschen Paß für mich herzustellen?«
    »Ja«, sagte Lejeune. »Dieses Sahnezeug ist doch am besten. Ja, Sondersen kann das. Einer der fähigsten Kriminalisten Deutschlands. In der einen Hälfte. In der anderen Hälfte habe ich auch Freunde. Ich habe überall Freunde. Glauben Sie, ich könnte sonst so arbeiten? Glauben Sie, Mister Gintzburger hätte mich sonst engagiert?«
    Das beeindruckte mich.
    »Sondersen ist ein so tüchtiger Mann, daß man ihm jeden Gefallen tut«, sagte Lejeune. »Ich habe schon mit ihm telefoniert. Alles okay. Die Paßabteilung wartet nur noch auf das Foto. Dann kriegen Sie das Ding. Die haben Visastempel – was Sie wollen! Das wird ein prächtiger falscher Paß. Ansonsten haben Sie Ihren richtigen. Das ist aber noch nicht alles. Sie dürfen in Deutschland nicht so den Playboy spielen wie hier, den Playboy, der Sie sind. Unterbrechen Sie mich nicht. Sie sind in Deutschland ein armes, geschlagenes Schwein mit einem gehirngeschädigten Kind. Sie tragen dort natürlich nicht Anzüge von Cardin, sondern solche von der Stange. Ein Teil des Gepäcks – die feineren Sachen – bleibt im LE MONDE. Auch die Koffer mit der Kleidung von Babs wurden schon ausgetauscht. Die neuen müssen bald kommen.«
    »Wer hat das veranlaßt?«
    »Wer wohl? Ich natürlich. Ich tu was für mein Geld, und ich bekomme eine Menge Geld von Mister Gintzburger. Dann müssen Sie in Deutschland eine Hornbrille tragen. Mit Fensterglas … Kein dunkles, das wirkt zu auffällig. Und bescheiden sein, ganz bescheiden. Ihr Maserati bleibt hier. Wenn Sie es selber nicht kapiert haben, lieber Freund: Von jetzt an müssen Sie ein Doppelleben führen wie Doktor Jekyll und Mister Hyde – der Vergleich ist nicht ganz zutreffend, aber Sie verstehen, was ich meine.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Dann kommen Sie, los. Keine Minute zu verlieren. Zimmer für Sie habe ich auch schon bestellt. Mittelklasse-Hotel, tut mir leid. In Luxushotels können Sie nur noch als Philip Kaven wohnen. Ein paar Anzüge von der Stange und Wäsche und all das Zeug gehe ich jetzt mit Ihnen kaufen …«
    Sehen Sie, mein Herr Richter, das war der Moment, in dem ich für den verfressenen Maitre Lejeune eine Haßliebe zu empfinden begann.

35
    M oment mal, damit ich nicht durcheinanderkomme!
    Laut Tagebuchaufzeichnung gingen Lejeune und ich am 4. Dezember 1971 in Paris ›Sachen von der Stange‹ für mich einkaufen in den GALERIES LAFAYETTE – einfach alles, sogar zwei Koffer, aus Plastik natürlich.
    Am 5. Dezember 1971 kam der Rückschlag auf das verdammte Perniton. Ich verschlief den ganzen Sonntag und auch den halben Montag. Weil ich meinen neuen Paß noch nicht hatte, mußte ich Sylvias SUPER-ONE-ELEVEN benutzen, Dienstag in der ersten Morgendämmerung, und so flog ich zurück nach Nürnberg, unter mir schwarze Nacht, über mir rot und gelb und golden, in absolut unwirklichen Farben, der neue Tag. Auf dem Flughafen Nürnberg verabschiedete ich mich bis auf weiteres von der Crew – denn nun würde ich wohl manchmal Linienmaschinen benützen müssen. Ich fuhr mit einem Bus zum Hauptbahnhof und verfluchte die ganze Zeit Babs, die Kröte, die mir das alles eingebrockt hatte, aber daneben schlug mein Herz heftig bei dem Gedanken, daß ich nun Ruth wiedersehen würde! Vom Hauptbahnhof fuhr ich ins Polizeipräsidium. Jetzt brauchte ich den neuen Paß. Lejeune, meine Haßliebe, hatte mir gesagt, ich solle sofort zu Sondersen gehen. Sein Büro lag im zweiten Stock und war unpersönlich und sachlich eingerichtet. Auf dem Schreibtisch stand ein Marmeladeglas voll Wasser mit einer roten Rose darin.
    Der Hauptkommissar Wigbert Sondersen kam mir entgegen. Er war sehr groß und sehr mager und hatte ein Gesicht, das an das eines behutsamen Arztes erinnerte. Sein

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