Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
Tag?«
    »Jeden Tag«, sagte ich.
    »Vielleicht auch zweimal?«
    »Sicher oft auch zweimal, Hexlein.«
    »Wie sieht sie aus, meine kleine Babs? Erzähl doch! Sprich doch! Warum sprichst du so wenig, Wölfchen? Ist vielleicht alles nicht wahr?«
    So etwas hält kein Mensch aus.
    Ich sagte: »Ich bin im Zimmer von Frau Doktor Reinhardt, Hexlein. Mit Rod habe ich schon telefoniert, er weiß, wo ich wohne, und wie ich jetzt heiße, wenn du mich anrufen willst. Aber ich werde wohl meistens im Krankenhaus bei Babs sein.«
    »Du bist lieb … du bist das geliebteste aller geliebten Wölf …«
    »Ich gebe dir jetzt Frau Doktor Reinhardt. Damit du mir glaubst«, sagte ich, hastig unterbrechend. »Sie wird dir bestätigen, was ich gesagt habe. Auch was nun geschieht, wird dir die Frau Doktor sagen …« Ich gab den Hörer schnell Ruth, die neben mir stand.
    Wir waren in ihrem Zimmer.
    Ruth redete mit Sylvia, ruhig und sicher, zu dieser Stimme mußte man Vertrauen haben. Wir hatten nebeneinander gestanden, während ich nach Paris durchwählte und sprach. Ruths Zimmer hier in Nürnberg im Sophienkrankenhaus für Kinder war genauso vollgeräumt mit Spielzeug, Büchern, Platten, Testmaterial, Wandtafeln und bunt verschmierten Wänden wie ihr Zimmer im Hôpital Sainte-Bernadette, und es gab auch eine Wand mit Regalen voller Literatur.
    Ruth redete und redete, sie hob nicht die Stimme, sie verlor nie die Geduld. Es stand noch ein zweiter Schreibtisch im Zimmer. Ich ging dorthin und setzte mich. Ich war von einer großen Glückseligkeit und zugleich von einer wahnsinnigen Rastlosigkeit ergriffen, nun, da ich anfangen konnte, mir vorzustellen, wie alles weiterging …
    Auf dem zweiten Tisch stand eine Schreibmaschine, darin eingespannt ein beschriebener Bogen. Während ich halb auf das hörte, was Ruth sagte, las ich:
LIEBE KINDER!
DIES IST DER LETZTE BRIEF, DEN ICH EUCH SCHREIBE. ICH ZIEHE WOANDERS HIN, UND DARUM KANN ICH NICHT MEHR MIT EUCH SPIELEN …
    »… nein, Mrs. Moran, dazu sind wir alle – zusammen mit dem Klinikchef – gekommen, zu dieser Erkenntnis: Die Lebensgefahr für Ihr Kind ist vorüber«, hörte ich Ruth sagen. Ich sah zu ihr und lächelte. Sie blieb ganz ernst. Gelächelt hatte sie nur, nachdem Babs mich erkannt hatte. Ich las weiter:
… KEINE ANGST, ICH HABE SCHON EINE NACHFOLGERIN! GANZ LUSTIG IST DIE! MIT SEMMELBLONDEN HAAREN UND BLAUEN AUGEN. WIE SIE HEISST? IRMGARD BREZELMEIER HEISST SIE. NA JA, BREZELMEIER IST NATUERLICH NICHT IHR RICHTIGER NACHNAME (DER HEISST: SEDLMAIER), ABER ALLE SAGEN »BREZEL« ZU IHR, WEIL SIE AUS MUENCHEN KOMMT UND SO GERNE BREZELN ISST …
    »… oh, da müssen Sie noch mit vielen Wochen, mit Monaten rechnen, Mrs. Moran …«
… KEKSE MAG SIE UEBRIGENS AUCH »WAAAHNSINNIG« GERN! UND TEDDYBAEREN, GROSSE HUNDE, PFERDE UND IHR ALTES AUTO FINDET SIE AUCH SEHR SCHOEN. AM LIEBSTEN ABER MALT UND SPIELT SIE DEN GANZEN TAG MIT KINDERN. UND SIE HAT IMMER EINEN HAUFEN NEUE, LUSTIGE EINFAELLE. IHRE IDEE WAR ES JA AUCH, EUCH »HUCKEPACKS« ZEICHNEN ZU LASSEN …
    »Nein, liebe Mrs. Moran, dazu wäre es viel zu früh! Dieser – wie heißt er? – dieser Herr Doktor Wolken kann noch nichts mit Babs anfangen. Zunächst müssen wir uns mit ihr beschäftigen. Später natürlich wäre es schön, wenn Herr Doktor Wolken nach Nürnberg kommen könnte … Nein, Mrs. Moran, bitte, glauben Sie mir: Auch der erste Unterricht durch Herrn Doktor Wolken muß noch hier im Krankenhaus stattfinden … Wir müssen Babs unter Kontrolle haben … Das freut mich, daß Sie das einsehen, Mrs. Moran …«
… EUCH »HUCKEPACKS« ZEICHNEN ZU LASSEN …
    Huckepacks?
    Was war das?
    Ich sah neben der Schreibmaschine einen Stapel großer, mit Wasserfarben beschmierter Papierbogen liegen. Ich blätterte den Stapel durch. Es schien, daß ›Brezel‹ den Einfall gehabt hatte, von kranken Kindern Tiere oder Menschen zeichnen zu lassen, die alles eines gemeinsam haben sollten: Sie sollten alle einen ›Huckepack‹ tragen, also einen Rucksack. Ich blätterte weiter. Manche Malereien waren bloßes Geschmiere, andere waren außerordentlich klar oder auch witzig, und alle waren sehr bunt.
    Auf jedem Bogen stand rechts unten der Name des Kindes, sein Alter, und was das bedeuten sollte, was es gezeichnet hatte. Aus den Zeichnungen konnte man gewiß sehr viel über den seelischen Zustand der Kinder ablesen. Da waren tief gebeugte Figuren, kriechende, unter der Last des ›Huckepacks‹ zusammengebrochen,

Weitere Kostenlose Bücher