Niemand ist eine Insel (German Edition)
wird man, davon bin ich nach Lage der Dinge und nach Schilderung von Frau Doktor Reinhardts Einstellung überzeugt, alles tun, um das Leben von Babs zu verlängern. Stimmt das?«
»Das stimmt«, sagte ich.
»Ein Leben zu verlängern ist nach dem heutigen Stand der Medizin in den meisten Fällen eine Kleinigkeit«, sagte Salmerón. »Wir wissen nur nicht, was der Patient davon hat.«
Bracken sagte: »Was ist hier eigentlich los? Was können wir dafür, daß sich der Vater von Doktor Wolken nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Schwein betragen hat?«
»Sie hätten Doktor Wolkens Mutter also Morphium – auch eine tödliche Überdosis – gegeben?« fragte Salmerón.
»Klar«, sagte Bracken.
» So klar ist das leider auch nicht, Mister Bracken«, sagte Salmerón. »Professor Werner Forßmann aus Düsseldorf, der 1956 den Nobelpreis erhielt, sagte in diesem Zusammenhang den ›Facharzt für Tötung auf Verlangen‹ voraus und setzte ihn mit dem ›entlohnten Vollstrecker der Todesstrafe‹ gleich – also dem Henker.« Er sah mich an. »Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck der letzten Titelgeschichte des deutschen Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL – haben Sie die Geschichte gelesen, Herr Kaven?«
»Nein.«
»Das ist bedauerlich. Die Cover-Story trug den Titel ›Sterbehilfe: Euthanasie – Mitleid oder Mord?‹ Eine ganz hervorragende Arbeit. Ich werde immer wieder den SPIEGEL zitieren, wenn wir nun weitersprechen, weil mir diese Titelgeschichte so sehr im Gedächtnis haften geblieben ist.«
Es war scheußlich kalt in Madrid, aber ich wußte, daß ich nicht wegen der Madrider Kälte fror. Diese entsetzliche Sache hatte wirklich zwei Seiten.
Und Salmerón hatte einiges zu sagen: »Der Bonner Neurochirurg Professor Peter Röttgen hat schon vor Jahren prophezeit: ›Wollte sich die Neurochirurgie in ihren ärztlichen Zielen mit den technischen Grenzen ihres Faches identifizieren, so hätten wir ein Krankenhaus-Inferno Danteschen Ausmaßes vor uns!‹ Und das stimmt nicht nur für das Gebiet der Neurochirurgie. Eine kompromißlose Ablehnung jeder Art von Euthanasie könnte zu den wüstesten Konsequenzen führen, Herr Kaven, der Sie sich gewiß lange und eingehend über die ablehnende Seite unterhalten haben. Ein Sterbender, zum Beispiel, dessen Körper von Krebszellen fast völlig zerfressen ist, dessen Leben aber bei Ablehnung auch der passiven Euthanasie verlängert werden müßte, wäre leicht zu retten: Man trennt einfach den Kopf vom krebskranken Körper und läßt ihn isoliert weiterleben.«
»Hören Sie auf«, sagte Bracken.
»Nein, ich höre nicht auf. Ich will, daß Sie Herrn Doktor Wolkens Haltung auf Grund seiner Kindheitserfahrungen begreifen und diese Haltung respektieren. In Japan ist diese Abtrennung des Kopfes bei Hunden geglückt, und sie ist auch beim Menschen möglich. An einem Gestell befestigt, über Schläuche mit Maschinen verbunden, die die Funktionen von Herz, Lunge und Nieren übernehmen, könnte so ein körperloser Kopf sogar noch sprechen!«
»Zu einem solchen Irrsinn wird es nie kommen«, sagte ich. »Mein Mitgefühl ist Herrn Doktor Wolken sicher – nur hätte er uns von seinen Erlebnissen in Paris berichten sollen, anstatt hierher zu flüchten.«
»Ich bin nicht geflüchtet!« sagte Dr. Wolken.
»Nein, nicht«, sagte Bracken. »Sie haben sich von uns allen verabschiedet und sind dann, versehen mit unseren Segenswünschen, fortgeflogen, weil Sie, was wir durchaus einsehen, unsere Handlungsweise im Falle Babs als jene von skrupellosen Kapitalisten – so benehmen die sich eben – nicht ertragen haben.«
»Ich habe mich nicht verabschiedet, weil ich Angst hatte«, sagte Dr. Wolken.
»Angst vor wem?«
»Zum Beispiel vor Ihnen, Sie brutaler und gewissenloser Geldmacher.« Jetzt erhob Bracken sich halb.
»Setz dich«, sagte ich laut. Er plumpste in seinen Sessel zurück. Und die Glocken läuteten.
»Zu einem solchen Irrsinn wird es nie kommen, haben Sie gesagt, Herr Kaven«, sagte Salmerón. »Es wird , das ist keine Frage mehr. Die Antwort auf die Frage hat vor zweihundert Jahren schon Kant gegeben: ›Wenn wir die Ziele wollen, wollen wir auch die Mittel!‹«
»Sie sind also durchaus bereit, Sterbehilfe zu geben – Sie haben es ja schon vor vielen Jahren im Falle von Doktor Wolkens Vater getan«, sagte ich.
»Gewiß«, sagte Salmerón. »Und wie damals in der Schweiz – aber auch krasser – würde ich es jederzeit wieder tun, weil nämlich bei sehr viel
Weitere Kostenlose Bücher