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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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unheilbar Kranken der sogenannte Dienst am Menschen – wie das Ihr deutscher Theologe Helmut Thielicke formuliert hat – umschlägt in einen ›Terror der Humanität‹. Wieder die SPIEGEL-Story, sie läßt mich nicht los.«
    »Sie sind Katholik?«
    »Ja.«
    »In einem sehr katholischen Land«, sagte ich. »Wie lautet die Stellungnahme des Vatikans?«
    »1957«, sagte Salmerón, »hat Papst Pius der Zwölfte gesagt: ›Wenn die Verabreichung der Narkotika zwei bestimmte Wirkungen hat, nämlich die Erlösung von den Schmerzen und die Verkürzung des Lebens, so ist sie erlaubt …‹«
    »Schau mal an«, sagte Bracken. »Der Heilige Vater.«
    »… freilich nur dann«, fuhr Salmerón fort, »wenn es zwischen Narkotikum und Lebensverkürzung keine auf den Willen der interessierten Parteien zurückgehende Kausalverbindung gibt.«
    »Damit man es auch versteht, anders ausgedrückt also«, sagte ich, »nur der pharmakologisch ahnungslose Arzt darf die möglicherweise tödliche Spritze geben.«
    »Richtig«, sagte Salmerón.
    »Also überhaupt kein Arzt«, sagte ich.
    »Richtig«, sagte Salmerón.
    »Also?« fragte ich.
    »Vor einem Monat wiederum erklärte der vatikanische OSSERVATORE ROMANO eine Legalisierung der Euthanasie als ›letzten Schritt vom Evangelium weg‹, weil Gott allein die Macht über Leben und Tod vorbehalten ist«, sagte Salmerón – und man hörte es ihm an, wie beklommen ihm dabei zumute war.
    »Und damit wären wir wieder bei Herrn Doktor Wolkens Vater, der seine arme Frau ihren Tod ›bewußt‹ erleben ließ.«
    »Richtig«, sagte Salmerón. »Diese Äußerung des OSSERVATORE ROMANO gerade aber hielt der Neurochirurg Professor Rudolf Kautzky – praktizierender Katholik wie ich! – für eine gedankenlose Phrase. Denn, so sagte Kautzky, wenn es richtig wäre, daß man Gott nicht in den Arm fallen darf, dann dürften wir das Leben ja auch niemals verlängern !«
    Bracken stöhnte plötzlich, stützte die Ellbogen auf die Knie und hielt sich den Kopf.
    »Ja, einfach und schön ist das alles nicht«, meinte Salmerón. »Da sagt der Münchner Strafrechtsprofessor Paul Bockelmann, zur Verlängerung des Lebens müßte der Arzt das Äußerste tun, selbst dann noch, wenn es nur um Tage oder gar um Stunden oder Minuten geht, und wenn überdies das Leben in der kurzen Spanne Zeit, für die es sich noch erhalten läßt, nur ein klägliches, trostloses Leben sein kann.«
    »Ich werde verrückt«, sagte Bracken.
    »Wenn jeder Arzt diesem deutschen Juristen folgen wollte«, sagte Salmerón, »dürfte er keinen Patienten sterben lassen, ohne ihn zuvor noch auf die Intensivstation zu bringen und an alle möglichen Apparate anzuschließen. Zwangsläufige Folge: Alle Krankenhäuser würden funktionsunfähig! Um mit Kollegen Kautzky zu reden, meine Herren: Was spricht eigentlich dagegen, daß der Mensch, der den Auftrag hat, sein Leben zu meistern, auch seinen Tod meistern darf, und daß der Arzt ihm dabei hilft? Was, bitte?«
    »Verdammter Irrsinn«, sagte Lejeune, erhob sich, trat an eines der großen Fenster und wandte uns allen den Rücken zu, während er sprach: »Irrsinn, gottverdammter! Was soll dieses ganze Gerede? Wir leben in einer irren Zeit, in der ein halbes Dutzend zu allem entschlossener Guerillas ein großes Land lahmlegen und ihm ihren Willen aufzwingen können. In einer Zeit, in der drei Viertel der Menschheit verhungern, während das vierte Viertel sich totfrißt wie ich oder politisch und menschlich absolut unzurechnungsfähig geworden ist. Wir leben in der Zeit der Kobaltbomben, der Fernraketen und des Rassenhasses. In einer solchen Zeit plädiere ich für ein Gesetz, das es bei Androhung härtester Strafen verbietet, überhaupt noch Kinder in diese dreckige Welt zu setzen! Das ist das einzig Richtige: Die Alten krepieren, und es gibt keinen Nachwuchs mehr. Dies, meine Herren, wäre meine Ansicht.«
    In ganz Madrid begannen wieder die Kirchenglocken zu läuten.

53
    I ch sagte zu Dr. Wolken: »Ich verstehe sehr gut die Haltung, die Sie – auf Grund Ihrer schrecklichen Erlebnisse – zwingt, unter allen Umständen für aktive oder passive, egal, für irgendeine Art von Sterbehilfe zu sein, sein zu müssen. Ich verstehe jedoch nicht, was Sie dazu gebracht hat, uns im Stich zu lassen. Bei Babs steht das Thema Sterbehilfe doch wahrhaftig nicht zur Debatte.«
    »Im Augenblick«, sagte Dr. Wolken.
    »Niemals!« sagte ich – und ahnte nicht, wie nahe der Zeitpunkt lag, an dem ich

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