Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
vielen normalen Kindern Geborgenheit geschenkt hatte. Er hat sehr lange nach einer solchen Wiege gesucht. Dann hat er sie in einem Bauernhaus gefunden – und sie stammte aus dem siebzehnten Jahrhundert …«

    Wir haben die ganze Weihnachtsnacht an Babs’ Bett verbracht. Wir haben miteinander kaum noch gesprochen, Ruth und ich. In dieser Weihnachtsnacht ist es im Sophienkrankenhaus zu keinem Fall gekommen, bei dem ein Arzt gerufen werden mußte. Gegen vier Uhr ist Ruth auf ihrem Sessel eingeschlafen, und ich habe sie und die schlafende Babs lange betrachtet. Ich bin die ganze Zeit über wach gewesen. Es hat immer weiter geschneit.

    Kaleidoskop! Kaleidoskop!
    Ich blättere mein Tagebuch durch. Bis zum Donnerstag, dem 13. Januar 1972, blieb ich diesmal bei Babs und Ruth und in Nürnberg. Es gibt noch so viel zu erzählen, mein Herr Richter, was Sie wissen müssen, und wir beide haben so wenig Zeit – SO WENIG ZEIT, wie jener Film Sylvias hieß. Ich versuche also zu raffen.
    Da sehe ich zunächst, daß ich am ersten Weihnachtsfeiertag vergessen habe, Sylvia anzurufen. Nach der durchwachten Nacht ging ich ins Hotel und schlief. Das Telefon weckte mich – es war Nachmittag, es war Sylvia. Vorwürfe und Angst. Was ist los? Ich sage, was ich nun schon so lange sage, daß es Babs von Tag zu Tag besser geht. Darüber ist Sylvia glücklich. Aber warum habe ich nicht früher angerufen? Weil ich die ganze Nacht an Babs’ Bett verbracht habe. Ich bin das geliebteste Wölfchen von allen Wölfchen, die es gibt.
    Ich gestehe, daß es mir schwerer und schwerer fällt, Sylvia anzurufen. Dieser Baby-Ton. Diese Koseworte. Mein immer stärker werdendes Gefühl der Verbundenheit mit Ruth. Sylvias Art, nach Empfang guter Nachrichten sofort über ihre eigenen Probleme zu sprechen: Sie langweilt sich zu Tode. Geschäftsdinge. Sie hat Zeit, nachzudenken. Ich soll Bracken beauftragen, immer wieder ihre finanzielle Situation zu überprüfen. (»Die bescheißen einen doch alle!«) Wie weit ist es mit dem KREIDEKREIS? Warum wird noch nicht gebaut? Wenigstens die Pläne und die Kostümentwürfe sind da. Aber bei Bracken. Und Bracken schickt sie ihr nicht. Also soll ich Bracken auffordern, all das Zeug sofort in die Klinik Delamare zu schicken. Gott, Wölfchen, sehe ich jetzt schön aus. Delamare ist ein Genie! Du wirst dich ganz neu in mich verlieben, wenn du mich siehst. Sicherlich, Hexlein. Ad infinitum.
    Mein Herr Richter, ich entnehme dem Tagebuch, daß ich beginne, richtige Angst vor diesen Anrufen zu haben. Mit Bracken nur rein informative Telefonate.
    Im Sophienkrankenhaus Bekanntschaft mit neuen Helfern, mit denen ›im Dunkeln‹. Lange Gespräche mit Pfarrer Hirtmann. Ich verbringe alle meine Tage im Krankenhaus – die meiste Zeit davon bei Babs. Sie ist fieberfrei geblieben. Die Lähmungserscheinungen sind fast völlig verschwunden, sie schielt noch – aber nur sehr wenig. Seltsam: Nie erkundigt sich Babs, die nun ganz klar ist, nach Sylvia! Ich frage Ruth nach dem Grund. Ruth erklärt, sie sei sich darüber noch nicht im klaren. Ich glaube, sie ist sich sehr wohl im klaren darüber, aber sie sagt es nicht.
    Wenn Ruth Nachtdienst hat, bin auch ich immer bis zum Morgen im Krankenhaus. Sehr oft spielt Ruth dann die Platte, die ich ihr zu Weihnachten geschenkt habe.
    Böse Nachricht aus Hollywood: Sylvias langjähriges Double ist schwer erkrankt und wird den KREIDEKREIS-Film nicht mitmachen können. Man muß ein neues Double suchen, am besten gleich in Spanien. Erst eines finden!

    Sylvias vollkommene Heilung macht so rasche Fortschritte, daß sie schon am 1. Februar 1972 entlassen werden soll. Sie ist glücklich. Wir anderen alle sind es nicht. Sylvia wird dann, in Freiheit, doch zu Babs wollen. Wie verhindert man das? Kann man es verhindern? Bracken berichtet von Telefonaten mit einem tief deprimierten Joe Gintzburger, der sich ›etwas einfallen‹ lassen will. Hoffentlich.

    Auf Ruths Schreibtisch stehen seit dem Weihnachtsabend die zehn kleinen Fetzenmännchen, die Kaddisch sagen. Das kleine Lamm trägt Ruth stets bei sich. Auch sie macht sich Sorgen. Wie wird das mit Babs weitergehen, wenn Sylvia wieder in der Öffentlichkeit auftaucht? Kann man mit dieser Frau vernünftig reden? Nein, beantwortet Ruth ihre Frage selber. Mit keiner Frau, die Mutter ist und ihr krankes Kind liebt, kann man vernünftig reden. Anschließend regt sie sich über das Wort ›vernünftig‹ auf und sagt, es sei eines der gefährlichsten,

Weitere Kostenlose Bücher