Niemand ist eine Insel (German Edition)
wird das letzte Drecksstudio Bescheid wissen über dich und nicht wagen, dir eine Rolle zu geben, weil jeder Film mit dir dann von Millionen Weibern in den Frauenvereinen und von Weibern und Männern auf der ganzen Welt boykottiert werden wird! Ja, auch von Männern! Das war sehr schweinisch, was du dir da geleistet hast, meine Liebe, in Monte-Carlo! Sehr, sehr schweinisch. Das Kotzen kann man kriegen darüber, das große Kotzen, mein Liebling. Und sei sicher, wenn wir dich feuern, dann kommt alles, was du damals gesagt hast, raus, jedes Wort, jedes!« Joe erhebt nie die Stimme, er spricht immer sanft weiter – eben wie ein Bibelverkäufer, der weiß, daß man ihm zuletzt doch etwas abkaufen wird. »Und wenn das alles raus ist, dann wird kein Studio der Welt es wagen, dich auch nur noch als Statistin zu beschäftigen, als kleinste Ein-Tag-Komparsin, dann kannst du Klofrau werden und Künstlerpostkarten von dir verkaufen – wenn es ein Lokal gibt, das so was wie dich als Klofrau nimmt.«
Und damit läßt Joe Sylvias Kinn los.
Und es ist lange, lange still in dem großen Salon, so still, daß ich mir einbilde, den Schnee auf die Fensterbänke draußen fallen zu hören, und ich denke, daß Joe und Co. in ihrer übergroßen Umsicht und Güte also auch Lejeune und dem alten Doktor Lévy erzählt haben, was da in Monte-Carlo passiert ist. Lejeune werden sie es vielleicht schon früher erzählt haben. Lévy vielleicht erst heute. Joe kennt ihn so lange wie ich, er weiß, Dr. Lévy ist keiner unanständigen Handlung fähig. Und Lejeune? Den hat Joe in der Hand, gewiß, mit mehreren, mit vielen Schweinereien der Art, die Lejeune für uns gedreht hat, für uns und für andere. Besonders für andere. Ich sehe, daß Sylvia wieder heftig weint, und ich denke an Ruth und daß sie gesagt hat, sie liebt mich, und ich setze mich neben Sylvia auf die rote Couch und ergreife ihre Hand und sage: »Mein armes Hexlein.«
Denn nach Joes Rede ist da Angst in ihren schönen Augen. Jeder sieht es. Jeder weiß, Joe hat gewonnen, Sylvia wird tun, was auch immer er verlangt, aus Angst, Angst vor der Zukunft, der Armut, dem Ende der Karriere, dem Skandal, dem Elend. So einfach geht das alles zu in unserer moralischen Industrie.
Der kleine Dr. Lévy sagt: »Wir müssen jetzt alle Geduld haben, Beherrschung und Geduld – vor allem natürlich Sie, liebe Madame Moran. Es steht geschrieben: ›Ein Augenblick der Geduld kann vor großem Unglück bewahren. Ein Augenblick der Ungeduld kann ein ganzes Leben zerstören!‹«
Sylvia nickt ihm zu und lächelt kurz unter Tränen, dann wird sie ernst, und erbittert fragt sie: »Wer sagt, daß mein Kind geistig schwer behindert ist? Eine Ärztin aus Nürnberg!«
»Eine sehr gute Ärztin«, sage ich. »Sie hat Babs hier in Paris das Leben gerettet, und sie sagt es nicht allein – viele Ärzte der Nürnberger Klinik haben mit ihr zusammengearbeitet und sind derselben Ansicht.«
»Nürnberger Ärzte!« Jetzt klingt Sylvias Stimme höhnisch. »Und damit soll es sich haben? Babs ist ein Idiotenkind und muß in ein Heim verschwinden, weil Nürnberger Ärzte das sagen?«
»Natürlich nicht«, sagt Joe.
»Nein?« Sylvia horcht auf.
»Nein.«
»Aber was wird dann geschehen?«
»Das sage ich dir gleich«, antwortet Joe. Er wendet sich an einen Anwalt, der seit fünf Minuten in einem dicken Akt blättert.
»Haben Sie es gefunden?«
»Ja, Mister Gintzburger.«
»Dann lesen Sie es vor. Laut und deutlich.«
Und dieser Anwalt liest daraufhin laut und deutlich alle einschlägigen Abmachungen, Erklärungen und Bestimmungen über die geradezu aberwitzigen Konventionalstrafen vor, die – in auch nur entfernt ähnlichen Fällen – von den höchsten amerikanischen Gerichten gegen Schauspieler ergangen sind und als Grundsatzurteile gelten.
»Danke, Jerry«, sagt Joe zuletzt. Zu Sylvia sagt er: »Ich werde dir sagen, was nun geschehen soll. Es soll das geschehen, was du selber jetzt wünschst.«
»Was … was ist das?« Er hat sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Das wollte er natürlich, genau das, klar.
»Nun, du willst selbstverständlich, daß Babs sofort von den größten internationalen Spezialisten untersucht wird – in der Mayo-Klinik und in der Schweiz und in Schweden und in England, wo diese Kerle eben sitzen, nicht wahr?«
»Ja, natürlich …«
»Und das wird geschehen«, spricht Joe mit salbungsvoller Stimme.
»O Joe, ich danke dir …«
»Danke mir nicht zu früh, Sylvia«, sagt
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