Niemand ist eine Insel (German Edition)
Dann sagt sie: »Geh jetzt, bitte. Gleich. Ich komme nicht mit. Ich …« Der Satz bleibt unvollendet. Ich gehe und drehe mich immer wieder um. Ruth sieht mir nicht nach, nicht ein einziges Mal.
Sylvia hat – zum ersten Mal im Leben – einem anderen Menschen, nämlich mir, ihr Scheckbuch gegeben. Ich muß jetzt immer so viel Geld haben, wie ich brauche. Ich muß die Untersuchungen bezahlen, den Treibstoff, die Gehälter des Personals, die ganze Reise, die täglichen Anrufe, die Sylvia erwartet – darunter werden viele Transatlantikgespräche sein. Da langt selbst das Gehalt eines Produktionschefs nicht.
Als ich – es schneit und schneit und schneit – den Flughafen erreiche, sehe ich Babs im Bett des Jets liegen. Sie schläft nicht, sondern starrt die Kabinendecke an.
Zwanzig Minuten später startet die SUPER-ONE-ELEVEN (alle Insassen wurden zu strengstem Stillschweigen verpflichtet) in Schneewirbel hinein. Als die Maschine abhebt, ziehe ich das aus der Jackentasche, was Ruth da hineingesteckt hat. Es ist eine ovale Messingplakette, nicht besonders groß, eingeritzt auf ihr sind diese Worte:
FRIEDE ALLEN WESEN!
GAUTAMA BUDDHA
Mittwoch, 9. Februar 1972: Wir sind in Amerika. Babs wird zur Untersuchung in die Mayo-Klinik in Rochester eingeliefert. Die genaue Untersuchung soll zwei Tage dauern, sagen mir die Ärzte. Täglich Telefonat mit Sylvia in Paris – unter Berücksichtigung des Zeitunterschiedes. Die meisten französischen Telefone haben einen zweiten Hörer. Immer wird also jetzt Joe mithören.
Samstag, 12. Februar 1972: Ich gebe den Befund der Ärzte der Mayo-Klinik telefonisch nach Paris durch. Der Befund entspricht genau dem, was Ruth gesagt hat. Für die Zukunft: Unter allen Umständen eine der des Sisyphos verwandte Arbeit bei der Behandlung. Dennoch nicht aufgeben. Es können Jahre vergehen, bevor Besserungen eintreten. Das frühere geistige Niveau wird dennoch wahrscheinlich niemals mehr erreicht werden. Unbedingt: Weitere Betreuung in einer für solche Fälle spezialisierten Institution.
Sylvia tobt am Telefon (jetzt hat sie keine Sedativa in sich, jetzt ist kein Dr. Lévy da), sie nennt die Spezialisten der Mayo-Klinik dämliche Affen. Sie glaubt kein Wort. Sie hat inzwischen (Eigrands Vorschläge zum Teil verwerfend) in Erfahrung gebracht, wo ein weltberühmter Arzt auf diesem Gebiet arbeitet. Sie beruft sich auf den Vertrag mit SEVEN STARS und fordert, daß wir nun nach Philadelphia fliegen, in das DISABLED CHILDREN CENTER eines gewissen Dr. Joseph Lerring.
Montag, 14. Februar 1972: Eintreffen in Dr. Lerrings Center. Der Chef selber empfängt uns. Er sieht genauso aus, wie in den fünfziger Jahren amerikanische Filmärzte auszusehen pflegten.
Dienstag, 15., bis Mittwoch, 16. Februar 1972: Ich sehe mir Dr. Lerrings phantastische Villa vor der Stadt an, seine Wagenflotte, ich erfahre, daß Dr. Lerring mehrfacher Dollar-Millionär ist.
Donnerstag, 17. Februar 1972: Dr. Lerring gibt mir in seinem mit erlesenem Geschmack eingerichteten Arbeitszimmer das Folgende bekannt: Wenn Babs in seinem Center bleibt, wird er neue Präparate verwenden, über die nur er verfügt: Diese Präparate erhöhen die Hirnleistung auf ›biochemischem‹ Wege. Die Behandlung ist verhältnismäßig kurzfristig und bringt völlige Heilung – zumindest in den meisten Fällen. Hundertprozentig kann vollkommene Heilung kein seriöser Arzt der Welt versprechen, nicht wahr. Die Kosten für die Behandlung sind enorm hoch, weil die Medikamente so teuer sind. Daher ist Dr. Lerrings Behandlungsart auch nur den wenigen zugänglich, die das nötige Geld dazu besitzen. Mrs. Moran besitzt es natürlich. Aber weil die Behandlung aus finanziellen Gründen nur wenigen möglich ist, weiß man nichts über sie, und Dr. Lerring ist kein Narr – er wird seine Geheimnisse nicht verraten.
Telefonat mit Paris – fast eine Stunde lang.
Sylvia ist außer sich. Sie hat es immer gesagt! Lerring ist genau der richtige Mann! Egal, was es kostet! Lerring wird Babs wieder völlig gesund machen! Ich sage, daß ich Lerring für einen skrupellosen Schuft halte. Er ist auf diese Art Millionär geworden. Er hat zur Vorsicht gesagt, daß er keine hundertprozentige Garantie geben kann! Nun, wenn Sylvia sich dusselig gezahlt hat, wird Babs eben zu den wenigen Fällen gehören, bei denen Lerrings Wunderbehandlung versagt. Sylvia beschimpft mich wie ein Marktweib. Ich bin davon überzeugt, daß sie am liebsten sofort nach
Weitere Kostenlose Bücher