Niemand ist eine Insel (German Edition)
Bracken am Telefon wiederholt, Angestellter eines Steuerberatungsbüros in New York. Walden (ein Briefwechsel war dem Treffen vorausgegangen) hatte sich vorsorglich erkundigt. Vergebens. Kein noch so versierter Finanzmensch kannte den Namen Rod Bracken oder den des Beratungsbüros, das dieser angegeben hatte. Es war Walden nur möglich gewesen, herauszufinden, wo dieser Bracken in München abgestiegen war: in einer der miesesten und darum billigsten Pensionen der Stadt.
Pünktlich wie verabredet erschien er an jenem Abend bei Walden – schlecht gekleidet, mager und armselig. Noch bevor er seinen Regenmantel (grünlich und zerschlissen) ausgezogen hatte, teilte er Walden mit, was der Grund seines Flugs über den Atlantik gewesen war: »Wir werden diesen Roman Ihres Vaters produzieren, lieber Freund.«
Walden hielt Bracken für einen armen Irren.
Zehn Minuten später hielt Walden, schuldengeplagt und verzweifelt, denselben Bracken für ein Genie, dem er mit offenem Mund lauschte. Bracken sprach recht gut deutsch, mit schwerem Akzent, schnell, entschlossen, seiner Sache absolut sicher und vor allem mit der Sachlichkeit eines Großbankiers.
Er erging sich nicht in Vorreden, sondern erklärte sofort, daß er in der Lage sei, das zu tun, was auch die größte deutsche Filmgesellschaft nicht geschafft hatte, nämlich 6,5 Millionen DM aufzutreiben – und das binnen kürzester Zeit.
»Ich habe«, sagte Bracken, der Fremdling mit den schiefgetretenen Schuhen, dem zerdrückten Anzug und dem eingefallenen Gesicht, zu seinem Gastgeber, »mich für die deutsche Steuergesetzgebung interessiert. Und ich habe hier in München einen Bekannten, der bereit ist, mir siebzigtausend Mark als Darlehen bis zum Jahresende zu geben. Mehr brauchen wir nicht.«
Mehr nicht? 70000 Mark als Darlehen? Wenn der Film – von zahlreichen Verleihern und Produzenten – mit 6,5 Millionen Mark kalkuliert war?
»Einen Verleiher brauchen wir auch nicht. Wir produzieren frei und verkaufen den fertigen Film dann an die meistbietenden Verleiher in der ganzen Welt. Was glauben Sie, was da mehr für uns abfällt!«
Also doch ein Verrückter! Was konnte man mit 70000 DM anfangen? Rod Bracken sagte Otto Walden, was man damit anfangen konnte. Otto Walden hielt danach Rod Bracken endgültig nicht mehr für einen Verrückten. Am nächsten Vormittag erschienen beide Herren im Münchner Registergericht und ließen ins Register eine Firma mit dem Titel SCHWARZER HIMMEL FILMPRODUKTION G.m.b.H. & Co. KG eintragen. Kommanditisten waren zunächst allein die Herren Walden und Bracken. Eingezahltes Stammkapital: 20000 DM. (Brackens Münchner Freund war in der Tat mit Geld zur Stelle.)
Sodann wurden von Bracken bereits entworfene Prospekte gedruckt. Hochglanzpapier. Vornehmste Ausstattung. Diese Prospekte versandte Bracken an 8500 Männer in der Bundesrepublik. Sie waren, in seinem Auftrag – Walden hatte in der Folgezeit mit dem Projekt kaum mehr zu tun –, von einem demoskopischen Institut ausgesucht worden. Es handelte sich ausnahmslos um Männer, die sehr viel Geld besaßen oder verdienten, höchst ehrenwerte Herren, die allesamt unter dem gleichen Übel litten: Sie befanden sich auf der höchsten Besteuerungsebene.
In den Hochglanzpapier-Prospekten, in denen bereits vollständige Besetzungslisten – Darsteller, Drehbuchautoren, Regisseur, Produzent, technischer Stab etc etc. – fest angekündigt wurden (und wahrhaftig schufen dann später all jene Männer und Frauen den Film!), gab die SCHWARZER HIMMEL FILMPRODUKTION G.m.b.H. & Co. KG ihre Absicht bekannt, mit der Verfilmung des legendären Romans noch vor Jahresende zu beginnen. Absolut im Rahmen der Legalität wurde sodann auf einige wenig beachtete Punkte der bundesdeutschen Steuergesetzgebung hingewiesen. Diese besagten, hier vereinfacht wiedergegeben: Gelder, die ein Steuerpflichtiger zur Finanzierung eines Großprojektes, also beispielsweise eines Filmvorhabens, bereitstellte, mußte er nicht versteuern, sondern konnte sie bei seiner Erklärung voll abziehen. Den Männern, die den Hochglanzpapier-Prospekt erhielten, bot sich damit die Gelegenheit, sich an einer Filmproduktion zu beteiligen. Der berühmte Roman, die Schauspieler, der Regisseur – alles versprach einen sensationellen Erfolg. Darüber, daß alles mit rechten Dingen zuging, wachte eine altehrwürdige Bremer Treuhandgesellschaft. Diese Art der Filmfinanzierung hatte es bislang noch nie in Deutschland gegeben. Nun gab es sie
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