Niemand ist eine Insel (German Edition)
werde mit Onkel Rod und mit Clarissa und Phil und Herrn Doktor Wolken eine Menge Spaß haben in Paris und in Madrid und überall, wo wir hinfliegen werden. Ja, das war es eigentlich, was ich Ihnen habe sagen wollen. Ach ja, noch etwas: Mami fliegt weit, weit weg. Es ist ein Geheimnis, wo sie Urlaub macht. Ich weiß, Sie haben Mami alle gerne. Ich glaube, Sie werden mir darum auch eine Bitte erfüllen. Ich hab nämlich eine. Versuchen Sie bitte nicht, Mami nachzufliegen und dann wieder zu fotografieren und alles das. Bitte! Ich hab das nicht bös gemeint. Aber bitte, lassen Sie meine Mami jetzt in Ruhe! Wollen Sie das tun?«
Drei Sekunden Stille.
Dann brüllten die Versammelten in den verschiedensten Sprachen:
»Ja!«
Ja! Ja! Ja!
Das nahm überhaupt kein Ende. Diesmal sah ich vorsichtshalber gar nicht zu Rod, dem Dreckschwein, hin. Babs stand auf, knickste nach allen Seiten, hob eine Hand. Es wurde still. Babs sagte, nachdem sie wieder gehustet hatte: »Danke schön. Ich hab ja gewußt, Sie sind alle okay, Sie sind alle fein; perfekt fein!«
Rod Bracken erhob sich. Er ist ein großer, kräftiger Mann, einundvierzig Jahre war er damals alt. Er hat das blasse Gesicht eines Menschen, der wenig an die frische Luft kommt, die typische amerikanische Frisur mit dem ganz kurz geschorenen Haar, die ihm bei seinem länglichen Kopf sehr gut paßt, das Haar ist schon graumeliert. Er hat sehr helle Augen, die eiskalt sind, aber – wie jetzt – auch auf Anhieb freundlich und warm strahlen können (der macht mit seinen Augen, was er will! ), er hat eine sehr große Nase und sehr schmale Lippen. Die Augenbrauen sind zusammengewachsen.
An diesem Nachmittag trug er einen grauen Flanellanzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte mit blauen Punkten. Er hob beide Arme. Er sagte: »Danke, Buddies!« Er behandelte Journalisten jeder Art stets wie Kollegen. Er nannte sie auch Jungs, Boys, Chums, Freunde, Amici, Copains, je nachdem, wo er gerade war. Er sprach drei Sprachen perfekt, drei weitere ziemlich gut.
»Ihr habt versprochen, Sylvia Moran diesen Urlaub zu gönnen, sie nicht zu verfolgen. Ich danke euch, Buddies. Im übrigen: Sylvia fliegt so weit weg, daß sie ohnedies keiner von euch jemals finden würde!« Lachen, etwas gequält. »So. Und nun muß ich noch ein paar Worte sagen. Im nächsten Jahr wird Sylvia Moran das größte und wichtigste Projekt ihrer Laufbahn realisieren können – sie wird, im größten Film, den sie jemals gedreht hat, in der ehrgeizigsten Produktion, die SEVEN STARS jemals realisiert haben, die Traumrolle ihres Lebens spielen. Ich darf euch heute sagen, daß zu diesem Zweck Sylvia Moran auf mein Anraten eine eigene Gesellschaft gegründet hat – die SYRAN-PRODUCTIONS. SYRAN ist, natürlich, zusammengezogen aus Sylvia und Moran. SYRAN-PRODUCTIONS werden diesen Film für SEVEN STARS herstellen – in einem eigens entwickelten neuen Farbverfahren und« – effektvolle Pause – »und für fünfundzwanzig Millionen Dollar …«
Ich sah, wie Rod redete, aber plötzlich war seine Stimme weg. Nur drei Sekunden vielleicht. In diesen drei Sekunden erinnerte ich mich. Man kann sich an so viel erinnern in drei Sekunden …
11
1960 , am 25. September, gab es eine Filmpremiere, die als ›Brackens Chuzpe‹ in die Geschichte eingegangen ist. Besagte Uraufführung fand in München statt.
Titel: SCHWARZER HIMMEL
Herstellungskosten: 6,5 Millionen DM.
Reingewinn bis heute: 156,7 Millionen DM.
Brackens ›Chuzpe‹-Film hatte als Vorlage den Roman eines 1931 in größter Armut verstorbenen Autors namens Erich Walden.
Der SCHWARZE HIMMEL ist etwa so bekannt, wie es die Romane des geheimnisumwitterten Bruno Traven sind. Aus diesem Grunde hatten deutsche Filmgesellschaften immer und immer wieder versucht, den Roman auf die Leinwand zu bringen. Indessen: Es war nie möglich gewesen, genügend Geld aufzubringen, auch nicht mit den vertracktesten Co-Produktionen. (Die Handlung spielte in mehreren Ländern, darunter einigen weit entfernten.) Buchautor Walden, unmittelbar nach seiner Frau verstorben, hatte nur einen Erben – den Sohn Otto. Otto Walden arbeitete 1958 bei einer Münchner Immobilienfirma. Es ging ihm finanziell nicht gut. Gar nicht gut. Er war von zwei Frauen schuldig geschieden, mußte also zweimal Unterhalt bezahlen, und lebte mit einer dritten Frau.
1958, am 12. April, erhielt er abends Besuch. Ein gewisser Rod Bracken hatte um eine Unterredung gebeten. Er sei, hatte dieser
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