Niemand ist eine Insel (German Edition)
natürlich von Bracken. Andere Agenten hatten für ihre Stars andere Symbolnamen kreiert: THE SIN, THE BODY, THE VOICE – DIE SÜNDE, DER KÖRPER, DIE STIMME.
»Ja«, sagte Sylvia jetzt, routiniert, wenn es richtig war, lächelnd, wenn es richtig war, ernst, eine Schauspielerin eben und eine intelligente dazu, »ja, wir bereiten unseren größten Film vor, meine Damen und Herren. Und deshalb ist es wirklich nötig, daß ich mich zuvor erhole. Denn dieser neue Film, diese neue Rolle, von der ich wahrhaftig mein Leben lang geträumt habe, sie wird mir alle Kräfte abverlangen. Ich weiß, mir steht die schönste, aber auch die schwerste Zeit meines Lebens bevor.«
»Worum handelt es sich, Mrs. Moran?«
Die versammelten Reporter hatten einen Mann von AFP (AGENCE FRANCE PRESSE) zu ihrem Sprecher gewählt, er stand ganz vorne, ein dicker, freundlicher Mann, Claude Parron hieß er. Wir kannten ihn. Mit der Zeit kennt man sie alle in diesem Gewerbe.
»Es handelt sich um die Verfilmung von Bertold Brechts DER KAUKASISCHE KREIDEKREIS«, sagte Sylvia Moran langsam.
Bewegung im Saal. Unterdrückte Ausrufe. Das war vielleicht eine Sensation – und wie getimed! (Nur nicht diesen Bracken anschauen, dieses Schwein!)
»Von … Bertolt Brecht?«
»Ja. Ich werde die Küchenmagd Grusche spielen – also eine ganz andere, absolut neue Rolle, eine, wie ich sie noch nie gespielt habe.«
» Gegen Ihren Typ!« sagte AFP-Parron.
»Gegen meinen Typ? Ach, Sie meinen das Äußerliche! Ja, das schon. Aber sonst … Sie kennen den KREIDEKREIS … Sie wissen, daß es da um diese Küchenmagd geht, die das Kind der Frau des Gouverneurs aufnimmt, erzieht, vor allen Gefahren bewahrt – bis die Gouverneursfrau zurückkehrt und das Kind wieder fordert und es zur berühmten Kreidekreisprobe kommt. Nun, bei Brecht spricht der Schnapsrichter das Kind dann der Magd zu, die das Kind losgelassen, die es nicht zu sich aus dem Kreis gezogen hat, um ihm nicht wehzutun. Weil nicht die Mütter das Wertvollere auf dieser Welt sind, sondern die Mütterlichen.« Ein Arm um Babs, die eben wieder nieste. »Was hier neben mir sitzt, ist auch eine Erklärung dafür, warum ich immer von dieser Rolle geträumt habe … mein geliebtes Kind.«
»Also Brecht, Mrs. Moran. Wir Franzosen lieben Brecht. Aber eine amerikanische Gesellschaft – und ein Dramatiker des Ostens …«
»Der größte deutsche Dramatiker dieses Jahrhunderts, Monsieur Parron«, sagte Sylvia.
»Völlig Ihrer Meinung«, sagte AFP-Parron. »Ich glaube sogar, der Welt! Aber wie wollen Sie da zu Rande kommen? Ich meine, gibt es da nicht enorme Schwierigkeiten?«
Sylvia sah mich lächelnd an.
Ich mußte ja schließlich auch mal was sagen.
Ich sagte (reden konnte ich, wollte viele Jahre lang Schauspieler oder Schriftsteller werden, nun, auf meine Weise war ich ja wohl so etwas wie ein Schauspieler geworden), den Kopf leicht nach rechts gewendet – ich sehe en face nicht ganz so gut aus wie im Profil links, links ist meine Schokoladenseite –, ich sagte sehr ruhig, sehr gelassen, sehr eindrucksvoll: »Es gibt, unberufen, bisher überhaupt keine Schwierigkeiten.«
»Aber der Osten, Mister Kaven … die Erben … die Rechte …«
»Eben!« sagte ich. »Mit all diesen Stellen und Menschen – schönste Harmonie! Sehen Sie, Monsieur Parron …« Ich neigte mich vor. »… dieser Film wird von staatlichen Stellen gefördert! Wir leben in einer Zeit der angestrebten Entspannung zwischen Ost und West. Nicht weil wir Engel wären! Nein, aus Gründen des reinen Selbsterhaltungstriebes.«
Alles, und es ist mir zuwider, das sagen zu müssen: alles genau von Rod Bracken getimed.
»Nun, und in solcher Zeit soll unser Film nach der Absicht beider Seiten ein Zeichen setzen: für Frieden, guten Willen, Verständnisbereitschaft und die Möglichkeit der Koexistenz.«
»Beider Seiten – heißt das, daß Sie die Unterstützung staatlicher Stellen in Ost und West haben, Mister Kaven?«
»Das heißt es, ja, Monsieur Parron.« Bewegung. »Staatliche Behörden in Ost-Berlin und Washington arbeiten zusammen und helfen uns, diesen Film zu drehen. Es helfen uns, von den gleichen Motiven erfüllt, die ich eben erwähnte, die Vertreter, die Wahrer des Nachlasses und Erbes, die Besitzer der Rechte an den Werken des – ja, und nun muß ich Sie zitieren, denn Sie haben meiner Ansicht nach absolut recht, Monsieur, des international größten Dramatikers unseres Jahrhunderts.«
»Und Sie werden in
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