Niemand ist eine Insel (German Edition)
mit Madame zu reden. Sehr freundlich«, sagte ich.
»Natürlich«, sagte der Arzt.
»Ich muß genau über ihren Zustand Bescheid wissen. Wo ist dieser Beleuchter?«
»Auf dem Gelände.«
»Ausgezeichnet«, sagte Lejeune. »Dann fahren wir inzwischen aufs Gelände. Ich schlage vor – jetzt ist es fünfzehn Uhr dreißig – ich schlage vor, wir treffen uns zwischen neunzehn und zwanzig Uhr in der Bar, Doktor Lévy.«
»Gut«, sagte der.
Es war so unmenschlich heiß, daß der Asphalt der Straße schmolz, glänzte und flüssig geworden war. Rod mußte mit dem Tempo heruntergehen.
Über der Stadt flimmerte in der Hitze die Luft. Eine Stadt, in der man nicht leben kann, hat Carmen Cruzeiro mir gesagt, dachte ich. Im Winter erfriert man. Im Sommer hat es fünfundfünfzig und sechzig Grad in den vollgestopften Wagen der Untergrundbahn. Am Straßenrand sah ich einen Hund. Er war tot. Überfahren und dabei weggeschleudert worden.
12
E STUDIOS SEVILLA FILMS.
Jetzt war das riesige Gelände mit der roten Erde vollgebaut. Gigantische Paläste. Armselige Bauerngehöfte. Unterkünfte für Panzerreiter (diese Statisten trugen natürlich nur mit Metallfarbe bestrichene Plastikpanzer, aber ich hätte mit keinem von ihnen tauschen wollen bei dieser Hitze), Stallungen für die Pferde, Triumphbögen lind Galgen, die ganze Hauptstadt – schon halb abgebrannt –, immer nur die Vorderfronten von Häusern, dahinter nichts, bloß Streben, welche die Fronten aufrecht hielten, Straßen, Wege, altertümliche Karren. Ein Heer von Arbeitern richtete alles für das Abbrennen der anderen Stadthälfte her, das für heute nacht auf dem Drehplan stand. Die Arbeiter trugen winzige Badehosen. Über ihre schwarzgebrannten Körper floß Schweiß. Gehämmere, Gesäge, Klopfen, Bohren, Maschinenlärm.
Ich hatte das schon oft miterlebt. Auch daß die Spezialisten die Herrschaft über den Brand verloren und alles fluchtartig den Drehort verlassen mußte …
Gewaltig ragten Säulen rund um den weiten Vorhof eines prunkvollen Palastes – vor Hunderten von Jahren Sitz des Gouverneurs Georgi Abaschwili, Herrscher über die Provinz Grusinien im Kaukasus – zum hochsommerlichen Himmel von Madrid im Jahre 1972 empor. Rod raste mit dem schweren Wagen in den Stall eines grusinischen Bauernhofes und bremste dort so heftig, daß Lejeune und ich nach vorn flogen.
»Bist du verrückt geworden?«
»Halt’s Maul. Wagen muß wenigstens im Schatten stehen.«
Wir gingen über das Gelände. Kaum einer der vielen Arbeiter grüßte. Ein Trupp Feuerwerker und ›Special Effects-Men‹ legte Kabel, installierte Explosionsladungen an den Fassaden der Kulissenstadt. Unter Strohdächern sah ich Pferde und Esel stehen, reglos, fliegenumschwirrt, zu erschöpft, die Fliegen mit ihren Schweifen zu verjagen. Rod ging so schnell, daß wir kaum folgen konnten. Da waren die Verwaltungsgebäude. Schatten. Endlich Schatten. Aber die gleiche Hitze. Noch ärger vielleicht. Eine Treppe hoch. Die Treppe herunter kam eine junge Frau im ärmlichen, grauen Leinengewand einer Magd. Ich erkannte sie.
»Guten Tag, Carmen«, sagte ich.
»Guten Tag, Señor Kaven«, sagte das Double.
Wir vermieden es, einander anzusehen. Wir gingen uns aus dem Weg, wo wir konnten, wann immer ich herkam. Ich sah Carmen natürlich jedesmal, denn sie hatte jedesmal hier draußen zu tun. Wir hatten niemals mehr miteinander über jene Nacht gesprochen. Nur über nebensächliche Dinge. Und über die so wenig wie möglich. Als sie an mir vorüberging, streifte ich ihre rechte Brust. Plötzlich schoß Blut durch meinen Körper. Ich dachte: Dann tue ich es eben von jetzt an mit Carmen jede Woche, verflucht! Wenn wir aus dieser verdammten Situation noch einmal herauskommen. Ich tu’s mit Carmen. Das ist die Lösung. Wenn wir es fertigbringen, alles zu vertuschen und den Film mit dieser ohne Zweifel ihrer Sinne nicht mehr mächtigen Sylvia fortzusetzen. Ich drehte mich um. Carmen stand am Fuß der Treppe und sah zu mir empor. Ihre großen Brüste hoben und senkten sich. Ich lächelte – aufreizend dreckig. Sie lächelte selig zurück. Also alles klar. Sichtlich erleichtert war sie. Die hatte wohl schon gedacht, ich sei schwul, damals, vor Weihnachten, im eiskalten Madrid …
Mein Büro des Produktionschefs.
Als einziges Büro hier besaß es eine funktionierende Aircondition. Es fröstelte mich sehr bald. Die Aktenberge. Die Pläne. Die Kalkulationen – Junge, sah das nach Arbeit aus. War auch
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