Niemand ist eine Insel (German Edition)
ungefährlich.«
»Und wenn er doch gesungen hat?«
»Ich glaube es nicht. Wir werden seinen Abtransport sehr auffällig veranstalten. Damit alle sehen, daß er ins Loch kommt. Das wird helfen.«
»Und wenn Mrs. Moran … entschuldigen Sie tausendmal, Mister Kaven … wenn Mrs. Moran auch noch intime Beziehungen zu anderen Männern hatte oder hat?« fragte Cummings.
»Ich glaube, sie werden keine Erpressung wagen. Sie werden auch nicht reden. Glaube ich. Hoffe ich«, sagte Lejeune.
»Hören Sie, Sir«, sagte Bob Cummings und ließ die Knöchel seiner langen, ineinander verflochtenen Finger knacken, »Mrs. Moran ist durch die Krankheit ihrer Tochter vollkommen verstört … unberechenbar … Wenn sie nun so etwas wieder macht? Oder etwas Schlimmeres?«
»Nicht verzagen, Lejeune fragen«, sagte der Fettwanst. »Ich gebe zu, meine Herren, Ihre Lage ist nicht angenehm. Fünfundzwanzig Millionen Dollar sind fünfundzwanzig Millionen Dollar. Und Mrs. Moran ist die größte Filmschauspielerin der Welt, und dies ist ihr größter Film.«
»Ja«, sagte Rod. »Eben, Sir. Der Film darf nicht platzen. Es darf keinen Skandal geben.«
»Madame ist psychisch schwer gefährdet und gestört, das sehen wir. Wenn ich bei der Polizei war, muß ich hören, was Doktor Lévy sagt.«
Ob die Augen von Babs jemals wieder gut werden? dachte ich. Und ihre Sprache? Und ihr Allgemeinzustand besser? Besser, gut – sehr gut natürlich nie. Aber besser?
»Du denkst an Sylvia, was?« fragte Bracken.
»Ja«, log ich. »Und mir ist zum Heulen.«
»Brauchen Sie uns noch, Maître?«
»Nein, das erledige ich alles allein, Monsieur Bracken. Wir treffen uns im HILTON.«
»Warum fragst du?« Ich sah Bracken an.
»Weil ich dir was zeigen will, damit du dich besser fühlst«, sagte das Kind der Bronx.
13
I ch saß mit Bracken in dem dunklen Vorführraum.
Auf der Leinwand erschienen das Zeichen des amerikanischen Kopierwerks, dann, zu Pfeiftönen, die Zahlen 3, 2 und 1, dann sah ich, noch mit Primärton, Schwarzblenden, durchgekreuzten leeren Kadern und Anmerkungen der Cutter, die ganzen bisher abgedrehten Szenen des KREIDEKREIS.
Niemals, da bin ich sicher, niemals wieder werde ich etwas derart Großes, Erschütterndes sehen. Niemals wird eine andere Schauspielerin auf der Leinwand so ungeheuerlich eindrucksvoll wirken wie Sylvia, die ich nun in ihrer Rolle als Küchenmagd Grusche sah. All das, was hinter mir liegt, hat mich verändert, so sehr verändert, mein Herr Richter – nicht nur die Krankheit von Babs, auch Sylvias Schicksal, wie sie es meisterte, wie sie in ihrem tiefsten Schmerz, in ihrer größten Verzweiflung, zu einer großen Künstlerin wurde. Ich saß da und sah Sylvia in diesem Film, in dem es um das Kind, um die Mutter, um das Mütterliche ging. Auch Bracken war tief beeindruckt: »Sie ist die Größte. Sie ist die Größte der Größten, Phil – und wenn sie wie die letzte Straßenhure mit ganz Madrid vögelt, und wenn sie alles das anstellt, was wir uns überhaupt nur vorstellen können, und dazu noch alles, was wir uns nicht vorstellen können – sie wird die Größte bleiben. Und dieser Film muß gedreht werden. Muß. Muß. Muß.«
»Ja«, sagte ich.
»Bis zu der Erkrankung von Babs war sie wunderbar. Und wunderschön. Und immer eine Spur wunderschöne, wunderbare Puppe. Jetzt, durch alles, was passiert ist, ist sie die Größte geworden.«
14
D ie grünlivrierten Portiers unter der Säulenauffahrt des CASTELLANA HILTON rissen die spiegelnden Glastüren zur Vorhalle auf, als Rod mit Sylvias Rolls-Royce hielt. Wir stiegen aus. Ein Wagenmeister fuhr den Rolls in die Garage. Die Portiers grüßten. Ich gab ihnen die Hand. Sie freuten sich, mich wiederzusehen. Ich freute mich, sie wiederzusehen. Wir gingen hinein in die gewaltige, kreisrunde Haupthalle mit den Wänden und Säulen aus Marmor, den kostbaren Möbeln und handgeknüpften Teppichen. Rechts lagen die eleganten Geschäfte der Hotel-Ladenstraße, die Friseursalons, die Zugänge zu den türkischen Bädern. Da war der Springbrunnen. Da war der große, bunte Papagei, der sich so sprachkundig zeigte, zwei kleine japanische Jungen bewunderten ihn gerade.
Bracken und ich gingen in die tiefgelegene Bar. Dr. Lévy und Lejeune saßen an der Theke. Vor dem Arzt stand ein Glas Orangensaft. Vor Lejeune stand ein Teller mit Sandwiches und ein Glas Bier. Die beiden sahen uns schweigend entgegen.
»Waren Sie bei Sylvia?« fragte ich Dr. Lévy.
Er
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