Niemand ist eine Insel (German Edition)
in den ›Beschützenden Werkstätten‹ – ein Erwachsener mit ihnen gehen und achtgeben müssen.
Eine Sirene heulte auf, kam schnell näher.
Ein VW stoppte draußen, zwei Polizisten aus Heroldsheid stürmten in das Postamt.
»Wer hat angerufen?«
»Ich!« sagte der Mann, den ich in der Zelle gesehen hatte. »Tun Sie was! Das muß man sich nicht bieten lassen! Diese Kinder gehören in ihr Heim, irgendwohin versteckt, aber nicht hierher!«
»Sie müssen hierher«, sagte der eine Polizist.
»Müssen? Was ist denn mit Ihnen los? Sie sind Polizist, Sie haben für Ruhe und Ordnung zu …«
»Tue ich ja.«
»Daß ich nicht lache!«
»Wenn es Ihnen hier nicht paßt, dann gehen Sie doch in die DDR!« rief die graue Maus in einem Paroxysmus der Erregung.
»Dort wird der Herr dasselbe erleben«, sagte der Polizist.
»Sie sind ja ein Kommunist! Und auch so was bezahlen wir mit unseren Steuern!« schrie der Mann.
Der Streit unter den Erwachsenen wurde gefährlich. Die Kinder gerieten fast in Vergessenheit. Verängstigt und hilflos schoben sie ihre Päckchen über die Schalter. Da standen, da saßen sie in ihren kleinen Rollstühlchen, die so mühselig verpackten und beschrifteten Pakete in den Händen.
Der zweite Polizist rief: »Sie benehmen sich jetzt sofort wie normale Menschen, ja? Was können die Kinder dafür!«
»Und was kann ich dafür?« schrie die dicke Frau. »Jetzt warte ich schon eine halbe Stunde wegen dem kleinen Kretin!« Sie gab Babs einen Stoß. Die fuhr herum, und bevor ich es verhindern konnte, schrie sie wild auf und trat der Dicken gegen ein Schienbein.
»Sie haben sie zuerst gestoßen!« sagte ich und hielt sie auf Armlänge. Babs schrie nun ununterbrochen. Die anderen Kinder begannen einzustimmen. Päckchen flogen durch die Luft, fielen zu Boden.
»Tut mir leid, Herr Norton, Sie müssen jetzt gehen«, sagte der erste Polizist.
»Ja«, sagte ich und gab den Kriegsdienstverweigerern ein Zeichen. Wir führten, trugen und schoben die Kinder zum Ausgang.
»Ich erstatte Anzeige! Sie haben gesehen, wie sie mich getreten hat!«
»Ich habe nichts gesehen.«
»Also, das ist doch … auch noch ihre Partei ergreifen, was? Unsere Polizei!«
»Komm, Babs.« Ich hob sie hoch.
Wir machten, daß wir fortkamen. Die Beamten und ein paar fremde Menschen halfen uns. Andere beschimpften uns, die Polizisten, die Postbeamten oder schrien aufeinander ein.
Endlich hatten wir alle Kinder in dem kleinen Bus. Die Kinder waren jetzt sehr aufgeregt. Eine alte Frau mit einer Tasche voll frischem Gemüse sah uns fassungslos zu. Als ich einsteigen wollte, hielt sie mich an.
Ich fuhr herum. »Was wollen Sie?«
»Mein Gott … ich … ich . Sie haben etwas verloren …«
»Was?«
»Ist Ihnen aus der Tasche gefallen …« Es war die kleine Metallplatte, die mir Ruth geschenkt hatte.
Ich sagte: »Verzeihen Sie. Sie müssen verstehen, daß wir …«
»Ich versteh schon«, sagte die alte Frau. »Die Welt ist nicht gut …«
»Steigen Sie endlich ein, Herr Norton!« schrie der Kriegsdienstverweigerer, der hinter dem Steuer saß. Er wollte hier weg. Ich kletterte in den Bus. Er fuhr los. Ich stolperte durch den schlingernden Wagen mit seinen kreischenden Kindern und schlug mir den Schädel an.
»Aber am Sonntag gehen sie alle brav zur Kirche, und wählen tun sie natürlich nur …«
»Ach, hören Sie auf«, sagte ich zu dem zweiten Kriegsdienstverweigerer, dem mit dem Bart, der rot vor Wut war. »Was soll’s denn?«
Ich setzte mich neben Babs und starrte die kleine Metallscheibe an, die mir aus der Tasche gefallen war, und las die Inschrift:
FRIEDEN ALLEN WESEN!
GAUTAMA BUDDHA
22
I ch will nicht töten. Ich will nicht Leute töten, die ich vorher nie gesehen habe und die mir nichts getan haben. Darum will ich auch nicht schießen lernen. Darum will ich nie eine Uniform anziehen. Und ich bin damit durchgekommen.«
Der das sagte, war der starke, bärtige Kriegsdienstverweigerer. Rohrbach hieß er. Hans Rohrbach. Er saß neben mir auf einer ganz niederen Bank, in einem Gang, an dem die Schlafsäle der Kinder lagen. Mittagspause. Das Essen war vorüber. Die Kinder, mit denen Rohrbach, sein Freund Ellrich und ich auf dem Postamt gewesen waren, hatten schon bei der Rückkehr ins Heim den Zwischenfall vergessen. Es gab keine Tränen, keine Anfälle, keine Aggressionen mehr. Sie aßen. Jetzt schliefen sie. Und in jedem Schlafraum saß ein Kriegsdienstverweigerer und paßte auf.
»Komisch, jetzt bin ich
Weitere Kostenlose Bücher