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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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schon so lange da, und ich kenne nur Ihren Namen, Herr Rohrbach«, sagte ich.
    »Und ich nur Ihren, Herr Norton.«
    »Wie sind Sie denn eigentlich hierhergekommen? Haben Sie sich das aussuchen können?«
    »Nein. Ich bin hierher geschickt worden. Mit einem Schreiben vom Zivildienstamt. Mein Vater hat eine Fabrik, wissen Sie.«
    »Aha.«
    »Hier sind Leute gebraucht worden, das war alles. Jetzt bin ich seit acht … nein, seit neun Monaten hier.«
    »Und Sie arbeiten so, wie die anderen in den Kasernen den Krieg lernen.«
    »Ja, das ist alles gleich … auch der Sold.«
    »Und dafür tun Sie das alles hier, und jeden Morgen und jeden Abend fahren Sie mit dem Bus und …«
    »Na ja. Ja. Ich tu alles. Wir sind immer zu wenige.« Er lachte verlegen. »Was soll ich rumlügen? Zuerst, als ich herkam, hat’s mir den Magen umgedreht. Zwei Tage. Dann …«
    »Dann?«
    »Dann«, sagte Rohrbach verlegen, »habe ich angefangen, die Kinder zu mögen. Ich mag Kinder, wissen Sie.«
    »Wie Ihr Freund Ellrich, nicht? Der liebt diese Kinder inzwischen so, daß er immer weiter hierbleiben will, auch wenn seine Zeit um ist.«
    »Ja, Herr Norton. So was geht ganz schnell, Sie wissen es selber, Sie haben ja auch alle Kinder hier gern, nicht nur Babs. Heute, wenn man mich draufstößt – nicht mal dann sehe ich, daß das schwerkranke Kinder sind … Ich kenne sie alle … Ich habe sie alle gern … Heute bin ich froh, daß ich hergekommen bin. Ich kann …« Er errötete heftig. »… helfen kann ich diesen Kindern … Glücklicher kann ich sie machen, vielleicht ein bißchen gesünder sogar … Ich kann mich so schlecht ausdrücken …«
    »Sie drücken sich schon richtig aus. Sie sind sehr realistisch, und was Sie tun, ist sehr …«
    »Nicht!«
    »Was nicht?«
    »Sagen Sie das Wort nicht, dieses blöde Wort!«
    »Na schön. Aber es erfüllt Sie mit Freude, was Sie tun.«
    Rohrbach sagte ernst: »Es ist die schönste Zeit, die ich bisher in meinem Leben erlebt habe.«
    »Dann haben Sie also auch Ihre Lebensaufgabe gefunden!«
    Er sah mich verständnislos an.
    »Ich meine: Sie werden bleiben wie Ellrich, Sie haben die Arbeit, die Ihnen Freude macht …«
    »Nein!«
    »Nein?«
    »Natürlich nicht«, sagte der bärtige Rohrbach. »Ich habe Ihnen doch gesagt, mein Vater hat eine Fabrik. Bei Erlangen. Damenunterbekleidung. Da arbeite ich dann sofort weiter. Muß doch. Der einzige Sohn! Ich soll doch mal das Werk übernehmen … Was ist?«
    Die Tür neben uns hatte sich ganz leise geöffnet, der Kriegsdienstverweigerer Ellrich steckte den Kopf heraus.
    »Schläft sie wieder?«
    Ellrich, der magere Junge, nickte.
    »Also, ist das nicht seltsam?« fragte mich Rohrbach.
    Ich nickte.
    Es war wirklich seltsam.
    Babs hing an Rohrbach. Sie lachte und spielte mit ihm. Aber wenn sie nach dem Essen schlafen sollte und Rohrbach in ihrem Zimmer Wache hatte, ging jedesmal die Hölle los. Er mußte nur erscheinen, schon begann Babs zu toben. Stand in ihrem Bett auf. Schlug nach Rohrbach. Sie hatte ihn auch schon gekratzt und bespuckt. Er hatte es, immer wieder, mit Streicheln, Drücken, Liebkosen versucht. Keine Spur von Erfolg. Rohrbach hatte Babs festgehalten. Lange Zeit. Sobald er sie losgelassen hatte, war sie aufgestanden und hatte wieder zu kratzen, zu spucken, zu schreien angefangen. Manchmal hatte Rohrbach einen Kollegen in der Mitte der Schlafenszeit ablösen müssen. Babs, tief im Schlaf, war dann sofort aufgewacht und hatte randaliert, sie fühlte: Nun war Rohrbach da. Nichts zu machen. Rohrbach hatte resigniert: »Es ist ganz einfach. Ich kann bei Babs nicht sein, wenn sie schlafen soll. Ich bin dazu nicht in der Lage.« Ich  – sagte er. Und Babs war es, die tobte!
    Nun sagte Rohrbach sehr leise zu Ellrich: »Tut mir leid, Karl, aber wenn ich dich jetzt ablöse, seht das Theater sofort wieder los, und alle anderen Kinder wachen wieder auf …«
    »Ist doch klar. Wollte nur Herrn Norton sagen, alle haben sie schon wieder vergessen, überwunden – die Postamtgeschichte.«
    »Gott sei Dank«, sagte ich.
    Das Verrückteste, dachte ich: Ich wußte, daß es auch zwei Mädchen und einen Jungen gab, die Ellrich nicht ertrugen, wenn sie schlafen sollten. Bei denen mußte dann bloß Rohrbach erscheinen, und sie schliefen sofort ein!
    Diese Kinder waren eben alle verschieden, so gleich sie einander in ihrer Behinderung waren. Sie waren so verschieden wie Rohrbach und Ellrich, so gleich deren Entschluß war, niemals eine Uniform

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