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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Zinnkanne. Roter Wein rann aus seinen Mundwinkeln. Ihn spielte einer der legendären alten Männer Hollywoods, James Henry Crown. (Er hatte seine Gage ›stehenlassen‹ und war dafür an den Einspielergebnissen beteiligt.) Im Augenblick saß er auf einem dicken Gesetzbuch, das sein Weggefährte Schauwa ihm in einer schon gedrehten Einstellung unter den Hintern geschoben und so auf den Richterstuhl gelegt hatte. Über James Henry Crowns Gesicht war ›panchromatisches Blut‹ geschmiert, wirr hing das weiße Haar in die geschminkte Stirn. Er trug einen dreckigen Richterrock über den blutbefleckten Fetzen seiner erbärmlichen Unterwäsche, und er war barfuß. Unter seinem Hemd befanden sich, an drei Stellen mit Leukoplast auf der Haut fixiert, die Enden von drei Plastikschläuchen, die sehr dünn und sehr lang waren. Sie liefen, für die Kamera unsichtbar, von Crown fort bis weit außerhalb des Bildes zu einem Bühnenarbeiter, der von Zeit zu Zeit aus drei Spritzpistolen weiteres ›panchromatisches Blut‹ in die drei Schläuche preßte, wonach ›neues Blut‹ aus den Wunden, die man dem Azdak eben noch (im fertigen Film tatsächlich Tage vorher) geschlagen hatte, in seine Kleidung drang und dort neue Flecken entstehen ließ. (Für jede Wiederholung dieser Einstellungen benötigte Crown deshalb natürlich ein neues altes Fetzenhemd und einen neuen alten Richtermantel.)
    Der Strick, mit dem die Panzerreiter den Lumpenrichter Minuten zuvor im fertigen Film, Tage zuvor hier auf dem Gelände, hatten aufhängen wollen, baumelte mit seiner Schlinge, dem Azdak gegenüber, von einer Estrade herab. Alle Einstellungen, in denen Azdak-Crown blutiggeschlagen und gehängt werden sollte, waren bereits abgedreht, desgleichen alle Groß-, Nah-, One- und Two-Shot-Einstellungen einer langen Szene – der wichtigsten des Films –, die nun noch einmal in einer Totalen (Einstellung 512) aufgenommen werden sollte. So hatten Regisseur und Cutter genügend Material, diesen Höhepunkt zu unterschneiden und dramatisch zu gliedern – die leidenschaftliche Anteilnahme einzelner Zuschauer, Angst und Gier auf den Gesichtern der Anwälte, des Adjutanten, der Gouverneursfrau, die Qual der Magd Grusche bei der Kreidekreisprobe – das Kind zwischen ihr und der Gouverneursfrau –, den betrunkenen Lumpenrichter, die drohenden Panzerreiter, das bunte Chaos der Komparsen, das für eine ganze Welt, unsere Welt, seit Anbeginn und bis in alle Ewigkeit stand … Einundneunzig spanische Statisten, ›Männer und Frauen, das Volk‹, wurden von weiteren einunddreißig spanischen Statisten – die Darsteller der ›Panzerreiter‹, sitzend auf einunddreißig Pferden – an den Seiten des Vorhofs zum Palast des Gouverneurs in Schach gehalten und zurückgedrängt. Vor dem Azdak standen die zwei Anwälte, der Adjutant der Gouverneursfrau, die Gouverneursfrau selber. Ferner stand da – in kurzer Hose, weißem Hemd und Sandalen – der Knabe Michel, welcher der Küchenmagd Grusche, die ihm das Leben gerettet, ihn aufgezogen und vor allen Schrecknissen bewahrt hatte, zulächelte. Die Grusche lächelte ihn an …

34
    D ie Grusche – Sylvia Moran – war genau um 7 Uhr 30 an diesem Morgen außerordentlich blaß und nervös auf dem Gelände eingetroffen. Ich hatte sie in ihrem Rolls aus dem CASTELLANA HILTON herausgebracht. Direkt hinter uns fuhren die vier Detektive von SEVEN STARS in zwei Wagen. Es war sehr kalt gewesen. Viele Menschen bereiteten schon die erste Einstellung des Tages vor, ich erblickte Carmen, als ich den Rolls vor einem kaukasischen Bauernhaus, erbaut hier vor vier Monaten, in der dem Film zugrunde liegenden Geschichte erbaut vor vielen Jahrhunderten, zum Stehen gebracht hatte. Wir waren ausgestiegen.
    Seit den Ereignissen in Nürnberg sprach Sylvia nicht mehr mit mir. Kein einziges Wort war seit dem vergangenen Freitag gefallen – nicht im Hubschrauber, nicht in München, nicht in Paris, nicht in Sylvias SUPER-ONE-ELEVEN, die uns nach Madrid weiterflog, nicht in Madrid, nicht im Hotel, nicht ein einziges Wort. Freundlich und ausgeglichen war Sylvia zu den Kellnern, zu anderen Schauspielern, die im HILTON wohnten, zu Bracken, da Cava, Cummings, zu allen. Mit allen sprach sie völlig normal, als sei nichts geschehen. Nur mit mir sprach sie nicht. In ihrem Appartement sperrte sie gleich nach Ankunft die Tür zum Salon ab, so daß ich in mein zweites Appartement verbannt blieb. Es war ein gespenstisches Wochenende gewesen. Ich

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