Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
sprach wieder. Ihr Gesicht war nun ganz verschlossen. Zuletzt sagte sie: »Ich bin in einer halben Stunde da.« Sie legte den Hörer hin. »Ich muß weg, Phil.«
    »Was?«
    »Ein Kind … neu eingeliefert … Lebensgefahr …«
    »Aber …«
    »Phil«, sagte sie. »Bitte.«
    »Ja«, sagte ich, »natürlich.«
    Wir verließen die Schule, ich sperrte alles wieder ab. Ruth ging schon voraus, um sich schnell anzuziehen. Dann traten wir vor das Häuschen. Sie wollte zu ihrem VW. Der stand rechts vom Eingang. Natürlich ging sie nach links. Ich lief ihr nach, nahm sie am Arm und führte sie zu ihrem Wagen. Sie sah mich traurig an.
    »Du bist böse.«
    »Nein!«
    Der Regen fiel auf uns.
    »Aber enttäuscht.«
    »Wirklich nicht. Natürlich muß du zu diesem Kind. Ich bin auch nicht enttäuscht«, sagte ich. Und das war natürlich eine Lüge.
    »Danke«, sagte sie. »Danke, daß du verstehst. Ich hatte wirklich die Absicht …«
    »Ja«, sagte ich. »Ja, ich weiß.« Ich lief zum Gittertor und öffnete es. Im nächsten Moment fuhr schon der VW an mir vorbei. Ruth sah starr geradeaus auf den Waldweg, den die Scheinwerfer des Wagens erleuchteten. Ich hoffte, sie würde mir noch einmal zuwinken, mich wenigstens noch einmal, und wenn auch nur für Sekunden, ansehen. Sie tat es nicht. Ich schloß das Tor wieder und überlegte, daß Ruth in Gedanken schon bei dem Kind da in Nürnberg war. Ich fühlte mich plötzlich sehr müde. Ich ging zu dem kleinen Häuschen zurück, und ich dachte, daß Ruth mich wirklich liebte – aber kranke Kinder wahrscheinlich noch mehr. Das war eine traurige Erkenntnis, denn ich konnte mir vorstellen, wie unsere Zukunft aussah.
    Nächstenliebe, so hatte Buddha gelehrt, schließt ein Gefühl der Brüderlichkeit aller Wesen ein. Nächstenliebe. Ach, es gibt so unendlich viele Arten von Liebe, dachte ich. Ich zog mich aus und legte mich ins Bett. Sofort war ich eingeschlafen.

47
    N ach meinem Tagebuch:
    Solange Sylvia in den Pyrenäen drehte, konnte ich sie telefonisch nicht erreichen. Erst am 9. November, einem Donnerstag, als Sylvia und der Stab bei Zaragoza arbeiteten, war es mir möglich, sie abends wieder in ihrem Hotel zu sprechen. Ich sagte ihr, Babs gehe es viel besser. Das stimmte sogar. Als sie das letzte Mal gebissen hatte, war das meine Hand gewesen, die Sie sich ausgesucht hatte. Sie erhielt andere Medikamente und war ruhig, freundlich und geduldig. Sie näherte sich mit großen Schritten – Frau Bernstein und Frau Pohl kümmerten sich besonders um sie – jenem Zustand der Genesung, den sie vor ihrem Zusammenbruch schon einmal erreicht hatte. Sie erhielt Musiktherapie, und sie modellierte auch wieder seltsame Gebilde aus dieser speziellen Art von Ton, der langsam erhärtete. Niemals sprach sie von Sylvia.
    Das tat Sylvia selber, wenn ich anrief. Dann erzählte sie mir, was für Strapazen sie ständig auf sich nehmen mußte bei den Dreharbeiten. Es waren auch wirklich die schwersten Szenen – zum Glück die letzten. Dann sollte Sylvia (und mit ihr natürlich der ganze Stab) sofort nach Hollywood fliegen. Da fast alle Szenen mit Primärton gedreht worden waren, stand Sylvia nun vor der Aufgabe, im Atelier die richtigen Sprachaufnahmen zum Film zu machen – alle anderen Schauspieler auch.
    Fast täglich kam Ruth abends nach Heroldsheid, um Babs zu untersuchen. Sie konnte immer nur sehr kurz bleiben. Wir sprachen nie mehr über jene Nacht. Manchmal küßten wir uns.
    Ich hatte viel zu tun. Ich machte Besuche bei reichen Industriellen, beim Finanzamt, bei Behörden, bei Bürgermeistern. Oft erlebte ich, daß die Menschen ein Einsehen hatten, oft kam ich glücklich mit Spenden – größeren oder kleineren – nach Heroldsheid zurück. Rektor Hallein lieh mir stets seinen Wagen. Ebenso oft, vielleicht öfter, hatte ich Auseinandersetzungen mit den Leuten, erhielt schroffe Absagen. Den jungen Journalisten Florian Bend vom NÜRNBERGER MORGEN traf ich immer wieder einmal in der Schule – er war von seiner selbstgestellten Aufgabe fasziniert.
    Zweimal flog ich nach Zaragoza.
    Sylvia hatte sich völlig erholt und spielte so phantastisch wie zuvor. Wir hatten auch in Zaragoza ein Doppel-Appartement, doch schloß sich Sylvia stets in ihr Schlafzimmer ein. Sie war sehr freundlich und dankbar – aber ich durfte sie nicht berühren, das ertrug sie nicht, nicht einmal eine Berührung. Im übrigen war die Stadt im Taumel: Polizei mußte Sylviavor ihren Fans beschützen, und in den Auslagen

Weitere Kostenlose Bücher