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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Staaten, nach meiner Rückkehr und später geschah, während des Frühlings, des Sommers und des frühen Herbstes – bis knapp vor die Zeit der endgültigen Katastrophe.
    Während meiner Abwesenheit war es warmgeworden in Heroldsheid. Die Kinder konnten ins Freie. Die Serie von Florian Bend im NÜRNBERGER MORGEN wurde ein solcher Erfolg, daß wir 9825 Mark an Spenden erhielten. Dazu kamen einunddreißig Patenschaften.
    Bend strahlte vor Glück, als er mir sagte: »Ich habe es Ihnen prophezeit! Nun sehen Sie es! Die Menschen sind nicht schlecht, wenn man klug mit ihnen umgeht, sehr klug. Und das habe ich getan.«
    »Aber die Spenden kommen alle von privater Seite, Privatleute haben die Patenschaften übernommen – wie Sie sehen«, sagte ich.
    »Ja, von Menschen«, sagte er. »Menschen, die keiner kennt. Sie haben mir doch selber gesagt, daß nur Menschen den Menschen helfen.«
    Die Kinder hatten Bend ein Geschenk gemacht: eine Sonne aus goldenem Stanniolpapier, einen Meter im Durchmesser, vielfach gefältelt. Die Sonne hatte Augen, Nase und Mund, teils ausgeschnitten, teils aufgemalt. Die Sonne lachte. Bend war sichtlich verlegen, als ihm dieses Geschenk von Babs überreicht wurde. Sie hatte gerade eine ›gute Zeit‹. Sie war ohne jede Aggression, sie machte Fortschritte (winzige) im Schreiben, Lesen und im Rechnen (die Hürde der Zahl 3 war endgültig genommen), in einer eigens für die Kinder eingerichteten kleinen Küche lernte sie die Zubereitung einfacher Speisen (ein Butterbrot, ein Glas Schokoladenmilch etc.), die Lähmungserscheinungen waren so weit zurückgegangen, daß sie sich drängte, an der rhythmisch-musikalischen Erziehung und am Turnunterricht teilzunehmen. Fräulein Gellert, die Logopädin, war glücklich: Babs sprach wesentlich klarer und konnte längere Sätze bilden. Und immer mehr interessierte sie sich beim Werken für die Herstellung von Tellern, Tassen und Figuren aus Ton, die sie bunt bemalte. Sie ging allein aufs Klo und wusch sich selber. (Eine ›gute Phase‹, wie gesagt.) Sie tanzte oft für mich und Ruth, wenn diese in die Schule kam oder wenn sie uns in dem kleinen Haus besuchte. Ruth und ich lebten wie ein glückliches Ehepaar – wir hatten noch nie miteinander geschlafen. Wir küßten uns manchmal, nicht oft. Ich – ich!  –, mein Herr Richter, hatte seit Monaten keine Frau und auch Monate später keine, und ich vermißte das auch gar nicht.
    Ich arbeitete in all der Zeit, wie ich es schon beschrieben habe. In den ersten zweieinhalb Monaten nach meinem Abflug aus Los Angeles telefonierte ich nur mit Bracken. Dr. Kassner hatte gebeten, Sylvia in Frieden zu lassen. Sie litt in der ersten Zeit nach Absetzen der Medikamente unter qualvollen Entziehungserscheinungen; später, als Dr. Kassners Therapie eingesetzt hatte und sie auf eine neue Medikation umgestellt war, hätte ich die Arbeit des Arztes gestört. So erfuhr Sylvia durch ihn, was mit Babs los war, wenn sie danach fragte. Sie fragte oft. Dr. Kassner sprach in dieser Zeit dann nur über eine positive Entwicklung bei Babs. (Eine ›schlechte Periode‹ hatte mittlerweile wieder die ›gute‹ abgelöst, Babs war unerträglich, ich war oft am Rand meiner Beherrschung. Aber ich verlor sie nie mehr. So hatte mich die Haltung der anderen Erwachsenen schon beeinflußt.) Babs fiel in ihren Leistungen zurück, es war wieder dasselbe Elend.
    Nach Ende der ›schlechten Periode‹ holte Babs enorm auf. In diese Zeit des Sommers fielen auch unsere Besuche des Ponygestüts, das in der Nähe lag, Besuche beim Gärtner und in einem Kaufhaus, Besuche eines Selbstbedienungsladens, einer Baustelle und des Marktes in Heroldsheid. Eine Szene wie jene im Postamt wiederholte sich nie wieder, aber immer waren Erwachsene da, die einfach nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten. Sie taten dann das Typische: Sie beachteten die Kinder nicht, weil ›man‹ so etwas eben nicht ›tat‹ …
    Ab Ende August telefonierte ich wieder mit Sylvia, die noch bei Dr. Kassner im Santa-Monica-Hospital war. Sie schien mir eine vollkommen veränderte Frau zu sein – ruhig, nicht hektisch, nicht egozentrisch, in der Lage, auch Nachrichten über Rückschläge von Babs zu erfahren und zu verarbeiten. Dr. Kassner war ein großartiger Arzt. Er sagte mir einmal, Sylvia sei auch eine großartige Patientin.
    »Sie spricht so gut auf die Therapie an, sie hat eine so gute Grundstruktur, daß ich hoffe, sie kann ihren Film drehen.«
    Ihren Film …
    Für

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