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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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habe, ist Sylvia Moran gewesen.
    Sylvia Moran.
    Kann ich nichts anderes denken?
    Nein, kann ich nicht. Und vergessen kann ich es auch nicht, werde es nie vergessen. Wie sie dastand, mit hängenden Armen, wie ich versuchte, sie anzusprechen, versuchte, zu erfahren, ob sie die Tat begangen hatte.
    »Ich habe ihn erschossen … Ich habe ihn erschossen …«
    »Warum, Mrs. Moran, warum?«
    »Ich habe ihn erschossen … Ich habe ihn erschossen …«
    Sie hatte – wie Sondersen inzwischen wußte – ein Kopftuch über dem blonden Haar getragen, als sie gekommen war, einen Regenmantel, eine dunkelgetönte Brille, eine flache, dunkle Umhängetasche. Kopftuch und Brille hatte Sondersen ihr abgenommen. Auch das blonde Haar – eine Perücke. Blauschwarz war Sylvia Morans Haar hervorgequollen, riesengroß und dunkel waren die starren Augen gewesen.
    »Mrs. Moran … Mrs. Moran … Warum haben Sie diesen Mann erschossen? Wer ist dieser Mann?«
    Starr und stereotyp die Antwort, immer die gleiche: »Ich weiß es nicht … Ich weiß es nicht …«
    Da war das Zimmer schon voller Beamter gewesen: neben Sondersen sein Vertreter, ein Mann vom Erkennungsdienst, ein Fotograf, der erste und der zweite Ermittlungsbeamte, der Notarzt. Vor dem Haus, im Haus Polizisten vom nahen Revier, das der Portier Kunzinger zuerst verständigt hatte. Dazu der Leiter dieses Reviers, der ihn, Sondersen, verständigt hatte. Die Moran. Die Moran. Die weltberühmte, gefeierte Sylvia Moran, deren Film DER KREIDEKREIS seit Wochen in Nürnberg lief vor ausverkauften Häusern, für dessen Besuch man Tage zuvor Karten bestellen mußte. Die größte Schauspielerin der Welt, hier, in diesem verdreckten Zimmer einer verdreckten Absteige, vor sich einen unbekannten Toten, den erschossen zu haben sie immer wieder beteuerte.
    »Ich habe ihn erschossen … Ich habe ihn erschossen …«
    »Aber wie, Mrs. Moran? Aber warum?«
    »Ich weiß es nicht … Ich weiß es nicht …«
    Der Notarzt hatte abgewinkt.
    »Hör auf, Wigbert. Das hat keinen Sinn. Schockzustand. Ich kann keine Verantwortung übernehmen. Mrs. Morari muß sofort in ein Krankenhaus gebracht werden.«
    Dahin ist sie dann gebracht worden, dachte der einsame und traurige Mann in dem elenden Zimmer nun – unter Bewachung natürlich, in einem Krankenwagen, mit ihrem Mantel, dem Kopftuch, der Handtasche, der Perücke, der Brille. Zwei Beamte vom Revier sind mitgefahren.
    Draußen, vor dem Hotel, wüste Szenen.
    Die Neugierigen mußten fast zurückgeprügelt werden, sie wichen nicht freiwillig. Fotografen waren eingetroffen (sie hörten den Polizeifunk ab in ihren Redaktionen), Blitzlichtsperrfeuer. Aufheulen einer Sirene. Rücksichtslos war die Ambulanz angefahren, das endlich hatte die Herbeigeeilten dazu gebracht, zurückzuweichen.
    Sondersen war mit seinen Leuten hiergeblieben. Sie hatten sich an die Arbeit gemacht, jeder an seine, stundenlang.
    Sylvia Moran. Sylvia Moran. Ich kann das nicht begreifen, dachte Sondersen. Großer Gott im Himmel, Sylvia Moran! Die Welt hat ihre Sensation, dachte Sondersen …
    »… und den die Damen dennoch heiß verehren, weil er das hat, was alle Frau’n begehren …«, sang weit entfernt die Frauenstimme. Vielleicht ist das kein Radio, vielleicht ist das ein Plattenspieler, vielleicht Fernsehen, dachte Sondersen, der sich nun vorsichtig Schritt um Schritt in Bewegung setzte. Dieses Zimmer, diese Gänge, dieses Hotel, dieses Milieu, ach, wie es stinkt, da ist er wieder einmal, jener Gestank, ich kenne ihn und das Milieu, ich weiß Bescheid am Ende meiner Dienstzeit, so knapp vor meinem endgültigen Ausscheiden aus dem Amt, ich gehe nie mehr irre, seit vielen Jahren nicht, daheim bin ich in diesem Dunstkreis der Verwesung und der Verzweiflung und des Übels.
    Indessen, dachte Sondersen, dieser Unbekannte, der gehört nicht hierher. Genausowenig wie Sylvia Moran. Und dennoch! Und dennoch, sie sind hierher gekommen, beide! Und dennoch, ja, gewiß, ich fühle es, weiß es mit Bestimmtheit, ist auch um diese beiden und um das, was beiden hier geschah, das giftige Inferno und der Gestank der Pest, nicht wahrnehmbar und doch betäubend, nicht Teil der Wirklichkeit und dennoch wirklicher als diese, grausige wie die Apokalypse, lautlos, stumm und trotzdem brüllend gleich tausend Elefanten, ein Höllenhauch, elendiglich geboren aus Laster und Verrat, Brutalität und Perversion, Gemeinheit, Lüge, Unmenschlichkeit und Bösem, ja, dem Bösen, ich fühle es, ich

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