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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Gummischürze, die Hemdsärmel hochgekrempelt, er arbeitete grundsätzlich ohne Handschuhe. »Feiner Herr ist das vielleicht, kann ich dir sagen. Jede Menge Ungepflegtheit. Der Knabe ist gut und gern sechzig. Warum bringt die Moran einen Sechziger um, kannst du mir das sagen?«
    »Nein.« Sondersen dachte: Läuft herum wie ein Landstreicher, aber vor Gericht erscheint er stets tadellos. Hat eine ausgesprochen hübsche Frau und zwei Töchter. Vorbildliche Ehe. Wie oft hat Prinner sich schon geschnitten – wenn er, zum Beispiel, wie vorgeschrieben, das Gehirn mit dem scharfen Skalpell einer Wurst gleich in Scheiben schnitt. Da hielt er das Gehirn in einer Hand, schnitt mit der zweiten. Schnitt sich immer wieder. Jeder andere wäre vor Angst, an Leichenvergiftung zu sterben, vergangen. Präparator Kalwos arbeitete praktisch im Takt mit ihm, wortlos. Während der Chef Bauchhöhlen und Brustkörbe öffnete, zersägte Kalwos stumm Schädelknochen. Höchstens fluchte er unflätig, wenn ein Knochen einmal besonders dick und hart war.
    »Gib mir Doktor Langenhorst, Hans, wenn das geht.«
    »Moment, der ist gerade dabei … Herr Langenhorst! … Er kommt … Ich übergebe.«
    Der Ballistik-Experte meldete sich. Eitle Stimme, fand Sondersen. Dem ist die Berühmtheit zu Kopf gestiegen. Immer dasselbe.
    »Können Sie schon irgend etwas sagen, Herr Doktor?«
    »Noch nicht viel, verehrter Herr Hauptkommissar. Mußte zuerst die Kleidung untersuchen, nicht wahr, dann die Leiche vor der Eröffnung, nun nach der Eröffnung. Einschuß in die Brust, hundertdreiunddreißig Zentimeter oberhalb der Ferse, zwei Zentimeter links neben dem Brustbein genau auf der Linie von Warze zu Warze, kreisrundes Loch, zweikommafünf Millimeter. Geschoß wurde aus dem Muskelfleisch zwischen der zweiten und dritten Rippe, fünf Zentimeter links von der Wirbelsäule herausseziert. Hundertachtunddreißig Zentimeter über Fersenhöhe.«
    »Schußkanal?«
    »Da bin ich gerade. Verläuft zur Senkrechten von der Brust zum Rücken ansteigend in einem Winkel von neun bis zehn Grad.«
    »Schlußfolgerung?«
    »Nicht so schnell! Bei einer solchen aufsteigenden Geschoßbahn könnte der Schütze unmittelbar vor seinem Opfer gestanden haben, höchstens zwei Meter zwanzig von ihm entfernt. Ich kann Ihnen aber jetzt schon sagen, daß ich einen Nahschuß aus unmittelbar aufgesetzter Pistole ausschließe.«
    »Ja?«
    »Ja. Es war ein Schuß aus schätzungsweise einem Meter Entfernung. Aber da müssen Sie wirklich noch ein wenig warten, Hochverehrter. Mein Bericht …«
    »Selbstverständlich. Ich höre, Sie waren schon bei Mrs. Moran?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Immer noch im Schock. Hände sofort auf Pulverschmauch untersucht.«
    Sondersen kannte das Verfahren: Eine Messerspitze Weinsäure in einem Glas Wasser auflösen. Filterpapier mit dieser Lösung befeuchten, auf die Haut legen. Das Papier saugt dabei die im Schmauch befindlichen Bleianteile auf. Dann Filter abheben, auf Glasplatte legen und mit wäßriger Natriumrhodizonatlösung besprühen. Bei Vorhandensein des Schmauchs intensive Rotfärbung. »Sylvia Morans rechte Hand erbrachte den eindeutigen Nachweis von Pulverschmauch.«
    »Also kein Zweifel, daß sie schoß?«
    »Nicht der geringste.«
    »Danke, Herr Doktor. Ich komme später noch vorbei.«
    Sondersen legte den Hörer auf.
    Fernschuß. Auf einen Sechzigjährigen. Das ist doch Wahnsinn. Ich muß ins Krankenhaus, irgendwann, und sie verhaften, es geht nicht anders. Großer Gott, und in drei Monaten hätte mich das alles nichts mehr angegangen.
    Der Portier Kunzinger und die ›Dame‹ Krake beschimpften sich weiter.
    »Du verfluchte Nutte …«
    »Halt’s Maul, du Dreckskerl!«
    Sondersen schlug gegen das Schlüsselbrett.
    »Ruhig! Ich will das jetzt noch einmal wissen, Kunzinger. Wenn Sielügen und ich komme Ihnen drauf, sind Sie geliefert. Also wie war das? Wer von den beiden ist zuerst gekommen? Sylvia Moran oder dieser Mann?«
    »Sylvia Moran«, sagte Kunzinger artig.
    »Alles noch einmal. Wann ist sie gekommen?«
    »Knapp vor fünf.«
    »Waren Sie da allein?«
    »Ja, Herr Hauptkommissar.« Kunzinger war jetzt ganz Demut.
    »Also keine Zeugen.«
    »Nein … keine … Aber ich sage die Wahrheit! Ich schwöre, ich sage die Wahrheit. Ich … ich … Warten Sie …« Er zog ein großes Buch heran, das aufgeschlagen auf einem Pult lag, voller Flecken, Schmutz und Fett. »Sehen Sie, Herr Hauptkommissar, da …« Eine Erleuchtung kam ihm. Er rief:

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