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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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sie das nicht kann. Amnesie, sie erinnert sich an nichts, sie glaubt, die Tat begangen zu haben, und so weiter.«
    »Und so weiter.«
    »Also äußert die Angeklagte sich nicht. Oder nicht brauchbar. Im Sinne des Staatsanwalts nicht brauchbar. In ihrem Sinne schon, nicht wahr? Und nun beginnt die Beweisaufnahme. Die Vernehmung der Zeugen und Sachverständigen geschieht nach Auswahl des Vorsitzenden nacheinander, wobei die Sachverständigen, die während der Sitzung im Saal verbleiben, den ganzen Vorgang miterleben, auch die Zeugenvernehmungen mitanhören, während die Zeugen nacheinander und einzeln vernommen werden. Den Sachverständigen und den Zeugen können aus früheren Protokollen Vorhaltungen gemacht werden, falls dies zur Unterstützung des Gedächtnisses notwendig ist oder wenn es zu Widersprüchen kommt. Verweigert ein Zeuge in der Hauptverhandlung die Aussage – insofern er dazu berechtigt ist –, so darf ein früheres Protokoll über seine Aussage nicht verlesen werden.«
    »Das kann so und so ausgehen«, sagte ich.
    »Richtig. Nach Schluß der Beweisaufnahme erhält der Staatsanwalt das Wort, dann der Verteidiger. Jeder kann jeden replizieren. Der – beziehungsweise die – Angeklagte erhält in jedem Fall ›das letzte Wort‹.«
    »Und dann?«
    »Dann zieht das Gericht sich zur Beratung zurück. Wenn der Vorsitzende keinen besonderen Termin zur Verkündung des Urteils festlegt, wird das Urteil nach der Beratung in öffentlicher Sitzung verkündet. Bei Freispruch muß angegeben werden, ob die Angeklagte nicht überführt ist oder ob und aus welchen Gründen die als erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Hat die Angeklagte die Tat nicht begangen, so wird sie freigesprochen, und in der Begründung heißt es dann, daß sie die ihr zur Last gelegte Tat nicht begangen hat. All dies ist zu begründen. Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagte haben das Recht – jedoch nicht die Pflicht –, auf Rechtsmittel gegen das verkündete Urteil zu verzichten. Auch eine Anfechtung des Urteils mit dem Rechtsmittel der Revision – aber das interessiert Sie wohl nicht mehr so, wenn ich mich recht in Sie hineindenke.«
    »Das tun Sie, Herr Doktor. Was ist?«
    »Ich möchte Ihnen einen Rat geben – als Ihr Anwalt, in Ihrem Interesse, aber genauso oder mehr noch im Interesse von Mrs. Moran, nachdem ich ihren Fall gründlichst überdacht habe.«
    »Ja?« Ich sah ihn unsicher an.
    »Ja«, sagte er. »Man kann die Linie der Verteidigung meines Kollegen Nielsen ziemlich genau voraussehen, nicht wahr? Die psychiatrischen Sachverständigen werden ihn unterstützen. Setzt er Paragraph einundfünfzig durch, so ist das eine große Leistung. Wenn er den Schutz dieses Paragraphen für Mrs. Moran nicht durchsetzt – und für diese Möglichkeit spricht, daß, wie ich Ihrer ganzen Art des Fragens, Ihrer Mimik bei meinen Antworten et cetera, entnehme, alle Zeugen, wo es nur möglich ist, die Aussage verweigern werden, was einen sehr, sehr ungünstigen Eindruck – sagen wir ruhig: den einer Verschwörung zur Vereitelung der Wahrheitsfindung – machen wird, ja, machen muß, so ist leider damit zu rechnen, daß Mrs. Moran zu einer sehr hohen Freiheitsstrafe wegen vorsätzlichen Mordes verurteilt wird. Ganz abgesehen von Babs’ Schicksal.«
    »Und dagegen kann man nichts tun?«
    »Man könnte etwas dagegen tun.«
    »Was?«
    »Den Stier bei den Hörnern packen«, sagte Dr. Oranow.
    »Wer sollte das tun?«
    »Sie.«
    »Ich?«
    »Ja, Sie, Herr Kaven. Sie sind der Mann, der über alles Bescheid weiß. Wenn Sie die Zeit bis zur Hauptverhandlung gegen Mrs. Moran – und das wird eine lange Zeit sein – dazu nützen, dem Herrn Untersuchungsrichter, der ja für Mrs. Moran und Sie der gleiche Mann ist, einen minuziösen Bericht zu geben über das, was wirklich vorgefallen ist, dann sähe ich hier eine viel größere Chance und Sicherheit für Mrs. Moran, für Babs, für Sie, für alle Beteiligten –vergessen Sie nie, daß diese Carmen Cruzeiro so voller Haß aussagen wird wie nur möglich. Damit kommt Mrs. Moran in eine böse Lage. Weiter wird ihre Lage vermutlich durch die Aussage der Experten verschlechtert werden, selbst wenn die Polizei – im besonderen der Hauptkommissar Sondersen – dann auch aus Gründen einer möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigung von Babs ihren derzeitigen Aufenthaltsort verschweigt. Daß sich hier alles um ein Kind gedreht hat, wird niemand bezweifeln –

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