Niemand ist eine Insel (German Edition)
Irrsinn!«
»Kein Irrsinn, Herr Kaven. Sie haben keinen festen Wohnsitz. Es besteht Verdunkelungs- und Fluchtgefahr. Deshalb sind Sie zu verhaften.«
»Aber … aber wen habe ich denn angeblich zum Meineid angestiftet?«
»Das wissen Sie genau, Herr Kaven. Ich muß nicht betonen, wie leid mir das alles tut. Sie kommen aus Madrid?«
»Ist das verboten?«
»Eine Señorita Carmen Cruzeiro hat uns telefonisch verständigt, daß Sie den Versuch unternommen haben, sie in strafbarer Weise zu beeinflussen. Sie wissen, um was es sich handelt. Die Papiere, die Sie zu Fräulein Cruzeiro mitgenommen haben, tragen Sie bei sich. Bitte, geben Sie sie mir.«
Es war auch in München-Riem sehr kalt, und ich war auf einmal unendlich müde. Ich gab ihm die Papiere. Er nickte.
»Ich habe einen Dienstwagen hier. Wir fahren nach Nürnberg.«
»Wie lange werde ich in Haft bleiben?«
»Ihr Prozeß kann erst nach dem Prozeß gegen Mrs. Moran geführt werden – aus verständlichen Gründen. Sie bleiben also ganz gewiß bis zum Ende des Moran-Prozesses in Untersuchungshaft/Herr Kaven. Und nun folgen Sie mir bitte.«
Ich folgte ihm.
59
I ch folgte ihm zu Ihnen, mein Herr Richter, in dieses Untersuchungsgefängnis, in dem einfach alles vorzüglich ist. Die Zellen. Die Matratzen der Betten. Die psychologische und medizinische Behandlung. Die – auf Wunsch – seelsorgerische Betreuung. Das einfühlsam-höfliche Verhalten aller Insassen und ihrer Betreuer, angefangen von den Herren Wärtern bis hin zum Herrn Direktor. Die Möglichkeit, mancherlei Sport zu treiben. Und, nicht zu vergessen, unsere wirklich exzellente Bibliothek.
Wie es sich traf, wurden Sie Sylvias und mein Untersuchungsrichter. Das vereinfachte vieles. Zum Beispiel, mich dazu zu bringen, diese Niederschrift abzufassen, an der ich nun schon seit Monaten tagtäglich sitze. Ich erhielt einen Verteidiger, einen Freund des hochberühmten Herrn Dr. Otto Nielsen – Herrn Dr. Karl Oranow mit Namen. Herr Dr. Oranow war bestellt, mich gegen den Anwurf der Anstiftung zum Meineid beziehungsweise zur falschen Zeugenaussage (die ich ja, je nun, schlecht hinwegleugnen konnte), zu verteidigen, insbesondere einen solchen Versuch hinlänglich strafmildernd zu motivieren. Dazu brauchte er meine ganze Geschichte.
Diese Zeilen schreibe ich, Sie wissen es, im übrigen zu einem Zeitpunkt, da der Sensationsprozeß gegen Sylvia Moran bereits im vollen Gange ist. Er rollt ab vor den Augen und Ohren einer sensationshungrigen Menschheit, er rollt ab, unerbittlich, unaufhaltsam. Wir schreiben heute den 22. Mai 1974, und es ist schon sehr warm in Nürnberg …
Herr Dr. Karl Oranow, ein hochgewachsener, schwerer Mann, hat ein warmherziges Gesicht, eine ruhige Stimme und eine unendliche Geduld. Seine grünen Augen können, wie die einer Katze, ins Graue wechseln, und überhaupt erinnert sein ganzes Gesicht an das einer Katze, mit der platten Nase, den schräggeschnittenen Augen, den hohen Backenknochen, wie auch die graziös federnde (bei seiner Schwere und Größe!) Art zu gehen daran gemahnt.
Wir sind bei seinen Besuchen allein. Sie, mein Herr Richter, haben Herrn Dr. Oranow ausdrücklich untersagt, mir das geringste mitzuteilen, was nicht unmittelbar mit der Anklage gegen mich zu tun hat.
Sie haben, mit bestem Recht, mein Herr Richter, untersagt, daß ich anhand auch nur der kleinsten Zeitungsmeldung den Gang der Dinge ›draußen‹ mitverfolgen kann. Sie haben bis zum heutigen Tag niemandem (außer Herrn Dr. Oranow) eine Besuchserlaubnis gegeben. Ich bin also seit Monaten abgeschnitten von der Welt, und recht geschieht mir, wenn eines auch mir Qual, größere Qual, zuletzt eine fast nicht mehr zu ertragende Qual bereitet hat: Ich wußte nicht, wie es Babs ging. War sie krank? Machte sie Fortschritte? Hatte sie eine ›schlechte Phase‹? Eine ›gute‹? Lebte sie noch? Oft, mein Herr Richter, fuhr ich nachts schweißgebadet aus dem Schlaf hoch – aus einem gräßlichen Traum aufgeschreckt, in dem Babs Schlimmes zugestoßen war.
Im Bewußtsein meiner Isolation und im Bemühen, mich auf das, was kam, entsprechend vorzubereiten, fragte ich meinen Anwalt, Herrn Dr. Oranow, bevor ich ihm die Wahrheit, die ganze Wahrheit erzählte (denn erstens mußte er sie kennen, wenn er mir helfen sollte, und zweitens gibt es eine berufliche Schweigepflicht, nicht wahr), fragte ich ihn nach dem grundsätzlichen Ablauf einer Schwurgerichtsverhandlung, um aus seinen Antworten, wo es ging,
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