Niemand ist eine Insel (German Edition)
Angeklagte auswirken?«
»Durchaus«, sagte Dr. Oranow, dem man ansah, daß er alle meine Gedankengänge nicht nach-, sondern, Kummer gewohnt, vorvollzog. »Das kann durchaus der Fall sein. Muß es aber nicht. Es kann auch das Gegenteil zur Folge haben, nämlich sich gegen die Zeugen auswirken … Um fortzufahren, zweitens: Ein anderer Rechtsgrund ist das selbständige Zeugnisverweigerungsrecht für Verwandte wie vorher, jedoch ohne Bezug auf strafbare Handlungen, sondern nur wegen des Verwandtschaftsverhältnisses.« Damit ist nichts anzufangen, dachte ich und fragte: »Drittens?«
»Drittens, Herr Kaven: Der Personenkreis, der an ein Berufsgeheimnis gebunden ist.«
Na endlich, dachte ich. Jetzt sind wir soweit.
60
B ei diesem Personenkreis«, fuhr Dr. Oranow fort, »besteht kein Recht zur Zeugnisverweigerung, wenn von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden wird.« Verdammt! »Es entbindet jedoch nicht das Gericht …«
Nanu!
»… sondern nur derjenige, der durch das Berufsgeheimnis geschützt ist, zum Beispiel der Mandant eines Anwalts oder der Patient eines Arztes. Wohlgemerkt, Herr Kaven, Babs ist minderjährig, nur der gesetzliche Vertreter kann von der Berufsverschwiegenheit entbinden, das wäre da also Mrs. Moran!«
Worauf mir wesentlich wohler ums Herz ward.
»Was sie natürlich nicht tun wird«, sagte ich.
»Was soll das heißen?«
»Das Berufsgeheimnis«, sagte er, »betrifft nur den Kernbereich des Vertrauensverhältnisses. Zum Beispiel bei einem Arzt: den Befund und die Behandlungsart. Es betrifft nicht den sonstigen Lebensbereich, aus welchem dem medizinischen Zeugen Einzelheiten bekannt sind – also hier beispielsweise der Aufenthaltsort von Babs.«
»Verflucht«, sagte ich. »Was hat das alles dann für einen Sinn, wenn Ärzte, die man als Zeugen hören wird, über Krankheit und Behandlungsart von Babs zwar schweigen dürfen – aber sagen müssen, daß sie in der Sonderschule Heroldsheid lebt? Dann ist das Fett doch genauso im Feuer!«
Er sah mich nun an wie ein freundlicher Weihnachtsmann.
»Nicht so schnell, Herr Kaven! Wenn medizinische Interessen vorliegen, diesen Aufenthaltsort – zum Beispiel wegen Gesundheitsgefährdung – zu verschweigen, besteht auch hier ein Zeugnisverweigerungsrecht.«
»Aha«, sagte ich und dachte: Also werden im Falle von Babs Ruth und Dr. Sigrand und andere Ärzte von diesem Recht Gebrauch machen, denn die Nennung des Aufenthaltsortes wäre beim Kind einer so prominenten Angeklagten für das Kind wirklich gesundheitsgefährdend – man denke an den Skandal, den Publicity-Wirbel, die Reporter, die Massenmedien –, und damit hätten wir Babs gerettet! Über Sylvia werden – wenn Carmen nun als rachsüchtige Zeugin auftritt – Dr. Molendero von der Madrider Klinik, der von allzu starker Übertragung geplagte Analytiker Dr. Collins und Dr. Kassner vom Santa-Monica-Hospital keine Auskunft geben. Daß Sylvia sich bei ihm einer langen Kur unterziehen mußte, ist bekannt. Sieht gar nicht so schlecht aus, wie ich eigentlich dachte, überlegte ich – und schon zerstörte der Anwalt meinen aufkeimenden Optimismus.
»Keinesfalls«, sagte Dr. Oranow nämlich, »haben jedoch die ärztlichen oder ballistischen Sachverständigen, die mit der Autopsie oder mit sonstigen Ermittlungen im Strafverfahren beauftragt waren, ein Zeugnisverweigerungsrecht.«
»Und auch nicht die Polizei – Hauptkommissar Sondersen zum Beispiel?«
»Nein.«
Also doch im Eimer.
»Allerdings kann in solchen Fällen unter gewissen Umständen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.«
Eijeijeijei! Schön war anders.
»Sie wollen wissen, wie eine solche Verhandlung abläuft, Herr Kaven, wir sind ein wenig … hrm … abgeschweift.«
»Ja.«
»Nun, nach der Belehrung verlassen die Zeugen den Sitzungssaal, die Sachverständigen bleiben anwesend. Der Vorsitzende vernimmt die Angeklagte zur Person. Dann verliest der Staatsanwalt die Anklageschrift – ein bis zwei Schreibmaschinenseiten. Der Vorsitzende weist die Angeklagte – also Mrs. Moran in dem Fall, den wir hier … hrm … theoretisch erörtern, im anderen Falle Sie – darauf hin, daß es ihr beziehungsweise Ihnen freisteht, sich zu äußern oder keine Aussagen zur Sache zu machen. Mrs. Moran wird keine Aussagen zur Sache machen, nehme ich an.«
»Machen können«, sagte ich.
»Machen können. Besonders zum Tode dieses Rettland. Hier werden die Sachverständigen zu erklären haben, warum
Weitere Kostenlose Bücher