Niemand ist eine Insel (German Edition)
trat, stellte ich fest, daß der Regen aufgehört hatte. Für eine Weile jedenfalls. Der Sturm tobte weiter wie bisher. Aber kein Regen im Moment. Man muß für alles dankbar sein. Ich machte, daß ich fortkam. Ich ging zu Fuß. Aus einer Klinik in die andere. Lag ja sehr nahe, die Rue Cavé.
44
S ylvia fand ich im Bett, natürlich.
Aber jetzt brannte eine Nachttischlampe. Ich bemerkte, daß Sylvias Kopf stark bandagiert war, vermutlich um die Kinnpartie zu fixieren. Die Augen hatte man freigelegt. Die Augen sahen grausig aus: verschwollen, dauernd tränend, die Haut herum blau, schwarz und grün verfärbt. Wie so etwas eben nach einem Lifting aussieht. Das also waren die Augen, über deren Schönheit eine Welt sich nicht fassen konnte. Gut, klar, natürlich würde alles wieder tipp-topp sein in zwei Monaten. Aber im Moment …
»Mein Wölfchen! Endlich! Ich habe so auf dich gewartet!« Heute sprach sie klar.
»Ich konnte nicht früher kommen, mein Hexlein, ich …«
»Küß mich.«
Also wirklich, mein Herr Richter, das verlangte sie. Kein Selbstmitleid jetzt! Ich küßte Sylvia auf den Mund. Dabei bemerkte ich, daß die Augen nicht nur verquollen waren, sondern auch einen Ausdruck höchster Erregung zeigten. Was, um alles in der Welt, war hier wieder geschehen?
Ich hörte ein Türgeräusch und fuhr herum. Aus dem Badezimmer war Rod Bracken getreten. Er blickte mich geradezu tollwütig an.
»Bin ich im Irrenhaus?« fragte ich. »Was habt ihr beide?«
»Clarissa«, sagte Bracken. »Diese gottverfluchte Clarissa.«
»Was ist mit ihr?« fragte ich.
»Sie war hier am Nachmittag.«
»Wo hier?«
»Hier bei Sylvia, du Idiot. In diesem Zimmer, du Idiot.«
»Die ist doch nie durch das Parktor gekommen!«
»Und wie die durchgekommen ist!«
»Wie?«
»Sie hat Sylvia aus dem LE MONDE angerufen und gesagt, es sei etwas geschehen, was Sylvia unbedingt wissen müsse. Und da hat Sylvia dann dem Professor Delamare eine genaue Beschreibung dieser dämlichen Sau gegeben, und sie kriegte eine Nummer, und nach dem Theater vor dem Torpfosten auf der Straße ließ man sie dann prompt herein und zu Sylvia. Diese schwachsinnige Clarissa, ich könnte sie erschlagen!«
»Halt’s Maul, Rod«, sagte Sylvia.
»Dann, nachdem Clarissa da war«, sagte Bracken, »suchte Sylvia dich zu erreichen. Du warst schon weg. Da erwischte sie mich. Szene am Telefon. Ich mußte sofort raus, das sah ich, das sagte ich ihr. Und sie arrangierte, daß ich auch hier reinkam, genauso, wie sie es bei Clarissa gemacht hatte.«
Ich ließ mich auf den Sessel neben dem Bett fallen. Rod rannte im Zimmer auf und ab.
Sylvia weinte unablässig mit ihren verquollenen, verschwollenen Augen. Und mein Gepäck und das Gepäck von Babs waren bei Suzy. Und Sylvias Privat-Jet war in Madrid. Und Babs war vielleicht tot. Nein, das nicht. Wir hatten bislang nur Pech gehabt. Warum sollten wir auf einmal Glück haben?
»Mein armes Wölfchen«, sagte Sylvia weinend. »Wie die Schweine dich zusammengeschlagen haben. Rod hat mir alles erzählt. Was tust du alles für mich. Mein Gott, hab ich dich lieb.«
»Ach, vergiß die Prügelei. Ich komme aus dem Hospital. Babs geht es besser.«
»Nein«, sagte sie.
»Ich glaube dir kein Wort«, schluchzte sie. »Mein Kind, das Liebste, was ich habe auf der Welt, meine kleine Babs … es geht ihr furchtbar, Clarissa hat es gesagt.«
»Scheiß auf Clarissa«, sagte ich. »War die im Hospital? Na also! Hat sie Babs gesehen? Na also! Hat die mit den Ärzten gesprochen? Na also! Diese hysterische Gans! Es geht Babs besser, sage ich dir. Und ich komme direkt aus dem Hospital.«
»Lüge«, sagte sie, schluchzend, mit ihrem Verband, ich konnte sie nicht ansehen. »Lüge! Und die Presse haben wir auf dem Hals! Die jagen euch jetzt! Und Babs und mich!«
»Die jagen keinen«, sagte Bracken brutal. »Ich habe dir dreimal erklärt, wie wir das mit der Presse gedeichselt haben. Für diese Ganoven sind Phil und Babs in Madrid.«
Danach, von einem Moment zum anderen, begann Sylvia zu toben. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Damals, in jener Nacht, erkannte ich, daß ich wirklich überhaupt nichts von Frauen wußte, von Menschen nicht, von Müttern am wenigsten.
Sylvia Moran, mein Herr Richter. Sie haben nun die Wahrheit über diese Frau herauszufinden. Ihre Aufgabe. Ich habe so lange und so böse über sie gesprochen, daß ich jetzt aber auch sagen muß, wie sie sich in dieser Nacht benahm. Das war kein Film, wahrhaftig nicht. Da gab
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