Niemand ist eine Insel (German Edition)
weiter …
IV. Außenaufnahmen. V. Reisekosten und Sonderkosten. VI. Filmmaterial und Bearbeitung …
Mein Blick trübte sich. Ich überflog die Positionen.
And only yesterday, dachte ich.
Und gestern noch …
43
Überwinde den Zorn durch Herzlichkeit.
Vergelte Böses durch Gutes.
Den Geizigen überwinde durch Gaben.
Durch Wahrheit oberwinde den Lügner.
Sieg erzeugt Hass, denn der Besiegte ist unglücklich.
Niemals in der Welt hört Hass auf durch Hass. Hass hört durch Liebe auf.
GAUTAMA BUDDHA
Ich las die Worte langsam. Auf Dr. Ruth Reinhardts Schreibtisch hatte ich am Morgen einen Bilderrahmen gesehen: Wenn auch nur die Rückseite. Ich hatte angenommen, daß irgendein Foto in dem Rahmen steckte. Nun, abends, saß ich allein im Zimmer der Ärztin und wartete auf sie. Da hatte ich den Rahmen umgedreht. Kein Foto darin. Ein Blatt Papier, unter Glas, mit diesen Sätzen Buddhas. HASS HÖRT DURCH LIEBE AUF …
Ich war tatsächlich (nach gewaltigem Abreise-Theater in der Halle des LE MONDE) in einem Hotelwagen samt Gepäck zum Flughafen gefahren. Dort hatten mich die Freunde meines Freundes Lucien Bayard mit dem kleinen Laster abgeholt und in Neuilly, nahe dem Hôpital Sainte-Bernadette, abgesetzt. Die Koffer waren längst in Suzy Sylvestres Kosmetiksalon. Ich denke, man kann wohl sagen, daß das Leben eines Menschen sich ganz abrupt völlig ändern kann, nicht wahr? Wie dieses veränderte Leben weitergehen sollte – ich hatte keine Ahnung.
Der Pförtner des Hospitals, dem ich meinen (falschen) Namen gesagt und gebeten hatte, zu Frau Dr. Reinhardt gehen zu dürfen, hatte telefoniert.
»Nicht in ihrem Zimmer, ’sieur. Wir lassen sie ausrufen.«
Die hatten also auch so eine hauseigene Rufanlage, und jeder Arzt trug so einen zigarettenpackungsgroßen Empfänger in der Tasche seines Mantels, den er ans Ohr halten konnte, wenn das Ding zu piepen anfing. Nach einer Weile hatte der Portier mir denn auch mitgeteilt: »Frau Doktor Reinhardt ist bei einem schweren Fall. Sie bittet Sie, in ihr Zimmer zu gehen – Sie wissen, wo das ist? – und dort zu warten. Sie kommt, so schnell sie kann.« So war ich denn im Gebäude der Hals-Nasen-Ohren-Klinik mit dem Lift emporgefahren bis zum vierten Stock, den Verwaltungsgang entlangmarschiert, an offenen Türen vorbei, an vielen Ärzten, Pflegern und Schwestern vorbei. Ich trug die dunkle Brille.
Was ich hier, vor dem Krankentrakt, an Gesprächen mitbekam, drehte sich immer noch hauptsächlich um die Geiselnahme in Den Haag.
»Jetzt, gerade jetzt, haben die Terroristen verlangt, daß der Kerl, den sie aus der Santé haben kommen lassen, nach Paris zurückgeflogen wird, und daß man ihm diesen Brief gibt …«
»Was für einen Brief, Doktor Janson?«
»Kollege, verfolgen Sie das Ganze nicht? Es dreht sich doch bei diesem Anschlag in der Hauptsache um die ›Königin der Terroristen‹, Fusako Shigenobu heißt sie …«
Wie mein alter Freund, der Nachtportier Lucien Bayard, prophezeit hatte: Jeder Mensch in der Stadt würde bald von nichts anderem reden als von dieser Geiselnahme.
»Schwester, Nummer achtundzwanzig ist vor einer Viertelstunde gestorben. Bitte, rufen Sie die Angehörigen an.«
Wie gesagt, was ich hörte, hing hauptsächlich mit der Geiselnahme zusammen. Aber das hier war immer noch ein Krankenhaus. Und in einem Krankenhaus wird eben auch gestorben. Mehr als in anderen Häusern. Wo hatten Menschen ein besseres Recht dazu?.
ÜBERWINDE DEN ZORN DURCH HERZLICHKEIT …
Die Tür ging auf, Ruth Reinhardt kam herein. Sie sah müde zum Umfallen aus. Unter den braunen Augen lagen dunkle Ringe. Sie schien mir zerbrechlich und schwach, aber ihr Händedruck war fest wie am Morgen. »Verzeihen Sie, Herr Norton … Ein dringender Fall …«
»Ich bitte Sie, Frau Doktor.« Verlegen stellte ich den Rahmen wieder auf den Schreibtisch. Wir setzten uns beide. »Buddha«, sagte ich. »Was da steht, ist sehr schön. Sind Sie … ich meine …«
»Ob ich Buddhistin bin?« Immer ernst das Gesicht. Sie fuhr sich mit einer Hand über die Stirn in einer Geste der Erschöpfung. »Ich interessiere mich für Buddha … Was ist mit Ihrem Auge los?«
»Ich bin über …« Nein, es ging nicht. Ich konnte diese Frau nicht belügen. »Das waren Reporter.« Ich erzählte ihr alles. »Ich mußte darum auch das LE MONDE verlassen. Ich werde bei einem Bekannten wohnen.«
»Sehr vernünftig. Ich brauche natürlich unbedingt die Telefonnummer Ihres Bekannten.«
»Wie
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