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Niemand kennt mich so wie du

Niemand kennt mich so wie du

Titel: Niemand kennt mich so wie du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna McPartlin
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nicht als Single sterben! Sie grübelte noch über die Inschrift nach, da fing der Rote Unhold mit seinem Tanz wieder von vorne an, als hätte er einen Sprung in der Schallplatte. Den Blick starr geradeaus und mit steif angelegten Armen hopste er wild auf und ab. Ist ja gut, ich kenne deine Show. In dem Augenblick erklang von ferne das monotone Brummen. Sie drehte sich um und sah einen Bienenschwarm auf sich zukommen. Die Insekten flogen durch den blauen Himmel und schienen ihn dabei in sich aufzusaugen, sodass aus Licht Dunkelheit wurde. Im Traum sah Eve absonderlich riesige Köpfe auf winzigen Bienenkörpern mit weit aufgesperrten Mäulern, die nichts in sich trugen als zwei scharfe Zähne, Dunkelheit und Tod. Hä? , dachte sie, na gut, ich bin ja schon tot, also … Sie drehte sich zu dem Roten Unhold um. Doch der war viel zu sehr damit beschäftigt, allein einen Paartanz aufzuführen, um zu merken, dass der Himmel inzwischen im Schlund Tausender Killerbienen verschwunden war, die direkt auf ihn zuhielten. Das Brummen wurde lauter und lauter. Endlich sah er auf. Er fing so laut an zu schreien, dass Eve sich die Ohren zuhalten musste. Sie wartete darauf, dass er verschluckt wurde, doch stattdessen erwachte sie und sah in das Gesicht der Frau, die den Boden poliert hatte.
    «Sie haben geschrien, Herzchen», sagte die Frau.
    «Entschuldigung.»
    «Soll ich eine Schwester rufen?»
    «Nein danke.»
    Die Frau nickte und ließ sie allein. Seitdem war die Poliermaschine für Eve zum Wecker geworden, wenn sie in ihre Träume eindrang. Manchmal erkannte ihr Gehirn das Geräusch und signalisierte ihr, dass es Zeit war, aufzuwachen und sich neu zu orientieren. Ach so, ich bin ja gar nicht in der Schokoladenfabrik und lecke auch nicht an der Kirschtapete. Ich liege in einem Krankenhausbett, und das Geräusch ist nicht Willi Wonkas Wunderboot, sondern diese bescheuerte Poliermaschine. Oh nein, es ist fünf Uhr morgens! Eve öffnete erst das eine und dann das zweite Auge, und es offenbarte sich das kleine, rechteckige Krankenzimmer, die weiße Wand, die sie Tag für Tag anstarrte, und das zerfledderte Poster, das sie inzwischen auswendig kannte.
     
    Die Botschaft ist in allen Sprachen gleich!
    Operite ruke
    Lavarsi le mani
    Lávese las manos
    Xin jay rura tay
    Hände waschen
     
    Zu ihrer Linken war ein großes Fenster mit einer Fensterbank, die breit genug war, um sich bequem daraufzusetzen. Der Blick ging auf den Personalparkplatz hinaus. Schon in den allerersten Tagen hatte Eve eine Angewohnheit entwickelt: Sie öffnete zuerst das eine, dann das andere Auge, warf einen Blick auf das Poster, las den Text und wandte dann den Blick zum Fenster, um zu sehen, wer von den Ärzten oder Schwestern kam oder ging. Gab es nichts zu sehen, machte sie die Augen wieder zu, und erst dann spürte sie in sich hinein, ob ihr Körper sich besser oder schlimmer anfühlte als am Tag zuvor. Ab und zu ließ ihr Körper sich noch ein oder zwei Minuten mehr Zeit mit dem Aufwachen als ihr Verstand. Als sie zum ersten Mal aufgewacht war und vom Hals abwärts gar nichts gespürt hatte, war sie in Panik geraten, doch sie hatte sich schnell an die Taubheit gewöhnt und war dankbar, anstatt der unerträglichen Schmerzen der ersten Tage nichts zu spüren. Es gab auch Tage, da schien ihr Körper regelrecht darauf zu warten, dass die Poliermaschine sie weckte, denn sobald sie das erste Auge öffnete, fing die Haut unter ihrem rechten Gipsbein an zu kribbeln, und bis sie dann das zweite Auge aufgeschlagen hatte, juckte es bereits so unerträglich, dass Eve den Gips kratzte, in der Hoffnung, ihre Finger würden es auf wundersame Weise schaffen, durch die betonharte Oberfläche zu dringen. Manchmal schmerzte ihre Schulter so sehr, dass sie ernsthaft ein Leben ohne linken Arm in Erwägung zog. Kann man eine Schulter amputieren? Der dumpfe Schmerz im linken Bein war zwar lästig, doch solange das Bein in Decken gewickelt war und niemand sich zu schwer aufs Bett lehnte oder etwas in der Nähe des Beins ablegte, war es einigermaßen erträglich. Einer ihrer wiederkehrenden Träume handelte von Männern, die Schlange standen, um eine Betonplatte nach der anderen auf ihr Schienbein zu stapeln. Die Männer kletterten sogar auf eine Leiter, um die obersten Platten zu platzieren, und wenn Eve das Gewicht im Traum endgültig unerträglich erschien, kletterte der Rote Unhold oben drauf, rollte sich mit dem Daumen im Mund zusammen und lag da wie die schlafenden Babys auf

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