Niemand kennt mich so wie du
letzten Mal ihre Tage gehabt. Sie würde sich deshalb so genau an das Datum erinnern, weil ihr damals mitten in der Wüste die Tampons ausgegangen seien und ihr nichts anderes übrig geblieben sei, als sich von ihrem geliebten Seidenschal zu verabschieden. Am 2. Juli war sie ins Hotel zurückgekehrt, und in der gleichen Nacht hatten sie miteinander geschlafen. Aus irgendeinem Grund hatte ihre Spirale versagt, was bedeutete, dass sie in der zehnten Woche schwanger war. Sie befand sich in Frankreich, in Paris, für eine Abtreibung und einen Kurzurlaub. Weiter erklärte sie ihm, dass eine Abtreibung nur bis zur zwölften Schwangerschaftswoche legal sei und sie sich eine Woche vor dem Eingriff zu einem obligatorischen Beratungsgespräch melden müsse. Als sie erfuhr, wie weit die Schwangerschaft bereits fortgeschritten war, war sie ins nächste Flugzeug gestiegen. Seit zwei Tagen befand sie sich nun dort, und der Eingriff wurde in fünf Tagen durchgeführt. Sie fragte ihn, ob er für ein Wochenende in Paris Zeit hätte, schrieb, dass der Termin für den Eingriff auf den kommenden Mittwoch festgelegt worden sei. Falls er also am Freitag käme, könnten sie beide vor ihrer Rückkehr nach Afghanistan noch ein langes, faules Wochenende im Ritz verbringen. Die E-Mail war drei Tage alt.
Clooney saß auf Eves Drehstuhl, das Kinn auf die Knöchel gestützt, und las die Mail wieder und wieder. Sie klang so gleichgültig. Eine Abtreibung und ein Kurzurlaub? Die E-Mail war kurz, sachlich und verriet keinerlei Gefühl – typisch Stephanie. Wahrscheinlich war ihr die Entscheidung, sich ihren Lieblingsseidenschal ins Höschen zu stopfen, schwerer gefallen als der Entschluss, ihr Kind abzutreiben. Er wollte nicht Vater werden und verurteilte sie nicht, doch es ließ ihn definitiv nicht kalt. Es ging um ein Kind, seins und ihrs. Ungewollt und trotzdem da, und auch wenn sie es in zwei Tagen wieder loswerden würde, in diesem Moment war es da und wuchs in ihrem Bauch. Seine Gedanken rasten. Er war nicht zum Vatersein geschaffen. Sie waren beide Zugvögel. Sie hatten aufgepasst. Sie benutzte die Spirale, und er hatte erst aufgehört, Kondome zu benutzen, als sie beide einen sauberen Bluttest hatten. Sie mochten einander, aber sie liebten sich nicht. Sie war im Herzen auch Soldatin, eine Kämpferin, eine Kriegerin. Sicher wäre sie eine gute und leidenschaftliche Mutter, aber der Krieg ist kein Ort für ein Kind, und der Krieg war das Einzige, womit Stephanie sich auskannte. Sie gehörte genauso wenig auf einen amerikanischen Stützpunkt wie er in ein Stadtbüro der Vereinten Nationen.
In der zehnten Woche schwanger. Mit Hilfe von Google recherchierte er, was einen zehn Wochen alten Fötus ausmachte.
10. Woche: Der Embryo ist jetzt ein Fötus.
Der Fötus hat die Größe einer Erdbeere.
Die Füße messen zwei Millimeter.
Der Hals beginnt sich auszuformen.
Die Körpermuskulatur ist beinahe entwickelt. Der Fötus beginnt sich zu bewegen.
Auch wenn Sie es noch nicht spüren können, Ihr Kleines dreht und wendet sich.
Der Kiefer hat sich ausgebildet. Mundhöhle und Nase sind verbunden.
Ohren und Nase sind deutlich zu erkennen.
Die Fingerabdrücke zeichnen sich eindeutig ab.
Brustwarzen und Haarfollikel bilden sich aus.
Bei der Abtreibung wird sie in der elften Woche sein.
Er hatte fast Angst davor, aber er musste trotzdem weiterlesen.
11. Woche: Die Nerven vermehren sich
Finger und Zehen sind klar voneinander getrennt.
Die Geschmacksknospen entwickeln sich.
Die Zahnwurzeln sind angelegt, der Fötus besitzt einen vollständigen Satz von zwanzig Milchzähnen.
Das Baby kann schlucken und die Zunge herausstrecken.
Abgesehen von der Zunge ist der gesamte Körper berührungsempfindlich.
Das Knorpelgewebe lagert Kalzium zur Knochenbildung ein.
Wenn es ein Junge ist, beginnen die Hoden mit der Testosteronproduktion.
Clooney las den Artikel immer wieder. Abgesehen von der Zunge ist der gesamte Körper berührungsempfindlich. Wird es etwas spüren? Bei Yahoo stieß er auf ein Diskussionsforum, in dem sich Frauen pro und kontra Abtreibung gegenseitig in der Luft zerrissen und mit übelsten Schimpfwörtern bedachten. Er las sich durch medizinische Webseiten und stieß auf die gleichen Argumente, nur ohne die Schimpftiraden. Die meisten Fachleute waren sich einig, dass echtes Schmerzempfinden eher im letzten Schwangerschaftsdrittel entstand. Der Fötus war noch zu jung, um bewusst Schmerzen zu empfinden. Abgesehen von der Zunge ist
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