Niemand kennt mich so wie du
der gesamte Körper berührungsempfindlich.
Er versuchte, eine Antwort zu formulieren. Stephanie hatte ihm keine Telefonnummer geschickt und sich auch nicht noch einmal gemeldet. Seit der Nacht, als Lily vor seiner Tür stand, hatte er keine Mails mehr abgerufen. Er hatte sich nur noch auf sie konzentriert. Er fragte sich, ob es Stephanie überhaupt etwas ausmachte. Drei Tage waren vergangen, seit sie ihm geschrieben hatte, dass sie schwanger sei. Die Betreffzeile sprach Bände: Hallo aus Paris. Amüsierte sie sich? Er hoffte es. War sie genauso traurig wie er? Eher unwahrscheinlich.
Hallo, Stephanie.
Er löschte es.
Stephanie,
Er löschte es.
Ach, Steph,
Er löschte es.
Es tut mir so leid!
Er löschte es.
Ich habe gerade meine Mails abgerufen.
Er löschte es.
Er saß ratlos am Computer und tippte mit dem Zeigefinger leicht auf der J-Taste herum. Wir könnten ein langes, faules Wochenende im Ritz verbringen, ehe ich nach Afghanistan zurückkehre. Wohnte sie im Ritz? Er googelte die Website und fand die Telefonnummer. In Irland war es kurz nach zwei Uhr morgens, in Paris also bereits kurz nach drei.
Er rief das Hotel an. Die Rezeptionistin ging beim vierten Klingeln ans Telefon. Sie klang wach und fröhlich wie am helllichten Tag. Clooney entschuldigte sich in gebrochenem Französisch für die späte Störung und bat, auf das Zimmer von Stephanie Banks durchgestellt zu werden. Die Frau am anderen Ende brauchte einen Moment und informierte ihn, Miss Banks habe darum gebeten, nach 22.00 Uhr nicht mehr gestört zu werden. Er erklärte, dass es sehr wichtig sei. Sie zögerte kurz und rief Stephanies Zimmer an. Nach ein paar Augenblicken stellte sie ihn durch. Stephanie klang verschlafen.
«Hallo?»
Er hörte, wie sie nach dem Lichtschalter tastete.
«Ich habe gerade deine Mail gelesen», sagte er.
«Ich habe mich schon gewundert, dass du so stumm geblieben bist», antwortete sie gähnend.
«Geht es dir gut?»
«Alles in Ordnung», sagte sie. Sie klang entspannt, und er hörte, dass sie sich rekelte, wie sie es immer tat, wenn sie nicht richtig wach war.
«Bist du sicher, dass du es tun willst?»
«Es ist das, was wir beide wollen», sagte sie.
«Danke, dass du es mir gesagt hast.»
«Ich hatte gehofft, dich zu sehen.»
«Eve ist heute erst aus dem Krankenhaus entlassen worden.»
«Wow! Dann muss es ihr ja richtig schlecht gegangen sein.»
«Kann man wohl sagen.»
«Und jetzt?»
«Sie wird wieder ganz gesund», sagte er. «Hast du Angst?»
«Sie geben mir eine Vollnarkose», antwortete sie.
«Wann und wo?»
«Donnerstag, 13.00 Uhr, Rue Vivienne.»
«Ich komme», sagte er.
«Musst du nicht.»
«Will ich aber.»
«Ich bin wirklich müde», sagte sie.
«Dann schlaf weiter.»
«Und, Clooney?»
«Ja?»
«Danke.»
Er legte auf und suchte online einen Flug, der ihn Donnerstagmorgen so früh wie möglich nach Paris bringen würde. Er fand eine Maschine, die um 7.00 Uhr abflog und um 9.45 Uhr landete. Er buchte einen Platz und schrieb Stephanie eine Mail, um ihr die Daten mitzuteilen. Er fragte auch, ob er ins Hotel kommen oder direkt in die Klinik fahren sollte.
Ehe er den Computer herunterfuhr, las er die letzte der drei E-Mails. Es handelte sich um ein Jobangebot in einem Ernährungsprogramm in Peru. Das Programm lief seit vier Jahren und war von einem Mann geleitet worden, den er zwar kannte, jedoch nicht persönlich. Er verließ den Posten ohne Angabe von Gründen. In einem angehängten Dokument wurden die Aktivitäten des Welternährungsprogramms, die betreuten Regionen sowie die Strategien erläutert. Der Typ hörte Ende November auf, hoffte aber, dass Clooney schon zum ersten Oktober in Peru sein konnte, um ihn einzuarbeiten. Clooney verzichtete darauf, den Anhang zu öffnen. Er antwortete auf die Mail und bat um eine Woche Bedenkzeit. Er fuhr den Computer herunter und sank auf die Ausziehcouch. Er lag hellwach, die Augen offen, im Dunkeln, mit rasenden Gedanken und rasendem Herzen.
Stephanie braucht mich, aber nur kurzzeitig. Ich will Lily, aber sie ist eine Mutter, die gerade eine scheußliche Trennung durchmacht. Sie ist an Irland gebunden. Und Peru? Kein Krieg mehr. Ich könnte ihren Kindern genauso wenig ein Stiefvater sein, wie ich Stephanies Kind ein Vater sein könnte, selbst wenn eine von beiden es von mir verlangen würde. Aber warum eigentlich nicht? Was wäre, wenn Stephanie ihre Meinung ändern würde? Könnte ich mich der Herausforderung stellen, wenn ich müsste?
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