Niemand kennt mich so wie du
musste schon etwas einigermaßen Berichtenswertes geschehen, um doch einmal die Aufmerksamkeit der Medien zu wecken. Aber sie war nicht berühmt genug, dass man bei ihr aktiv nach Leichen im Keller suchte. Gott sei Dank. Es tut mir so leid, Ben. Wo bist du heute? Hier? Dort? Nirgendwo?
Als sie vor dem Haus ankamen, stellte Lily den Motor ab. Sie strahlte von einem Ohr zum anderen. Ihre Augen glänzten. Eve reichte ihr den Schlüssel, und Lily umklammerte ihn fest. Es war ein wunderschöner, wolkenloser Tag. Eine von Bäumen gesäumte Auffahrt führte auf das große weiße Haus zu, das zum Großteil von einer Kletterplanze mit rosaroten Blüten bewachsen war. Die Haustür war in einem wunderschönen Dunkelblau gestrichen, und auch die alte Holzbank stand noch immer unter der großen Eiche im Vorgarten. Lilys Herz klopfte wie wild. Sie warf Eve einen Blick zu.
«Es ist, als würde ich nach Hause kommen», sagte sie.
«Das tust du auch.» Eve sah ihre Freundin mitfühlend an, die der Anblick des Hauses, in dem sie aufgewachsen war, so sehr bewegte. Sie wünschte, sie könnte genauso glücklich sein, doch auch Eve hatte in diesem Haus zu viel verloren, um jemals wieder solche Gefühle dafür hegen zu können wie Lily.
Sie stiegen aus.
Tess gefiel das Haus auf Anhieb. «Es ist total hübsch und außerdem nur ein paar Haltestellen von uns entfernt!», sagte sie zu Daisy, die sich noch immer distanziert und schweigsam gab.
Lily schloss die Haustür auf und betrat die große Eingangsdiele. Sie umfasste mit beiden Händen das breite, alte Mahagonigeländer mit dem geschwungenen Ende und betrachtete die frisch gestrichenen Wände. Eve hatte darauf bestanden, dass die Maler kamen, nachdem alle Möbel draußen waren. Von den Familienbildern, die im Treppenaufgang gehangen hatten, war keine Spur mehr geblieben, doch im Geiste hatte Lily jedes einzelne vor sich. Der alte Holzfußboden war frisch eingelassen und auf Hochglanz gewienert. Lily ging weiter nach hinten durch bis in die geräumige, offene Küche, die hinaus auf die Terrasse und den großen Garten führte, wo sie und Eve als Kinder so oft gespielt hatten. Sie sah zur Terrassentür hinaus und entdeckte die beiden Schaukeln. Sie klatschte in die Hände.
«Mein Gott, habe ich diese Schaukeln geliebt!», sagte sie und biss sich auf die Lippe.
«Weiß ich doch», antwortete Eve.
Lily nahm staunend die Küche in Augenschein. Hier hatte sich so gut wie alles verändert. Die Küche war modern eingerichtet und mit einem ausgezeichneten Gasherd, einem zusätzlichen Backofen und einer Mikrowelle ausgestattet.
«Danny hat die Küche renoviert?», fragte sie ungläubig.
«Seine Lebensgefährtin hat gerne gekocht», sagte Eve und fragte sich plötzlich, wie es wohl Jean McCormack gehen mochte. Sie beschloss, Jean bei nächster Gelegenheit anzurufen. Sie war eine sehr liebenswerte Frau, die ihren Vater in seinen letzten Jahren sehr glücklich gemacht hatte. Sie fragte sich flüchtig, weshalb sie nicht schon früher auf diese Idee gekommen war, wurde aber gleich wieder von diesem Gedanken abgelenkt, weil Lily erneut seufzend in die Hände klatschte.
Sie folgte Lily hinaus in den Garten, Tess und Daisy im Schlepptau. Tess setzte sich sofort auf die eine Schaukel und Daisy auf die andere daneben.
«Die ist genau wie deine», sagte Tess.
«Ist sie nicht», antwortete Daisy.
Lily betrachtete die Bäume. Sie waren inzwischen so groß gewachsen, dass das Haus von Terry dem Touristen kaum noch zu erkennen war. Sie ging zurück ins Haus, durchquerte die Diele und betrat das Wohnzimmer mit dem großen Panoramafenster, das den Blick auf den Vorgarten mit der alten Eiche und der Holzbank freigab. Sanft ließ sie die Hand über den Kamin gleiten. Dann öffnete sie die großen weißen Flügeltüren, die das Wohn- vom Esszimmer trennten. Sie hatte völlig vergessen, wie groß es war, weil dieser Raum selten genutzt worden war. Sie ging zurück in die Diele und sah Eve auf den Stufen ins obere Stockwerk sitzen.
«Darf ich raufgehen?», fragte Lily.
«Es ist dein Haus.»
Lily nahm zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf, und Tess lief ihr nach.
«Lily! Warte auf mich!»
Dann tauchte auch Daisy aus dem Garten auf. Eve sah sie an.
«Und? Bist du immer so übellaunig und motzig oder nur jetzt, weil dein Leben auf den Kopf gestellt worden ist?»
Daisy lehnte sich gegen den Türrahmen. «Hat meine Mutter was mit Ihrem Bruder?»
«Nein», antwortete Eve. «Aber sie mögen sich sehr.
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