Niemand kennt mich so wie du
und riss ein sauberes Laken aus dem Trockner. Sie rannte zurück nach draußen. Ihre Patientinnen lagen bewegungslos da. Sie rief den Rettungswagen und wickelte das Laken fest um Rachels Kopf. Als die Ambulanz acht Minuten später eintraf, sah Rachel aus wie ein kollabierter Ölscheich, aber es war das Beste, was Lily unter den gegebenen Umständen hatte tun können. Die beiden Sanitäter luden Nancy und Rachel in den Wagen, doch als klarwurde, dass Lily offensichtlich nicht mitfahren würde, fing Nancy an zu schreien. Sie streckte den Arm nach Lily aus und fing an zu betteln.
«Bitte, Lily, bitte, Lily, bitte, bitte, bitte, lass mich nicht allein!»
Lily sah ihre spindeldürren Beine in der ausgeblichenen Leggins an, das grässliche Ally-McBeal-T-Shirt, die Hausschuhe.
«Scheibenkleister», sagte sie und schüttelte den Kopf. Wie sollte sie nein zu einem flehenden Kind sagen, dem ein Pfeil im Auge steckte? Also sprang sie mit an Bord, ohne Telefon, mit einer ellenlangen unerledigten Einkaufsliste, ganz zu schweigen von der ganzen Wochenration an Mahlzeiten, die gekocht werden mussten.
Scheibenkleister war etwas, das Lily statt Scheiße sagte, denn sie fand Kraftausdrücke aggressiv und überflüssig. Manchmal sagte sie auch Scheibenhonig! Und ab und zu empfahl sie ihrem Gegenüber, sich die Wand anzuschauen, wobei die Betonung der Wörter Schau doch die Wand an keinerlei Zweifel an der Bedeutung ließ.
Auch Verdammte Hacke, belämmert und Funkenschlag gehörten zu ihrem Repertoire, und manchmal, wenn es hart auf hart kam, fügte sie noch eine Portion Reis hinzu. Lily fluchte nicht gern, es war einfach nicht ihr Stil.
Rachel stand eindeutig unter Schock. Sie war verwirrt, faselte etwas von stecken gelassenen Autoschlüsseln und wollte von Lily wissen, ob sie die Einkäufe weggeräumt habe.
«Habe ich die Einkäufe aufgeräumt?»
«Ja, du hast alles weggeräumt.»
«Gut, das ist wichtig, weil Nero alles frisst, was ihm in die Quere kommt. Hast du die Einkäufe weggeräumt?»
«Ja, ja. Alles im grünen Bereich.»
«Gut. Es war nämlich viel Tiefkühlkost dabei. Haben Sie die Einkäufe weggeräumt?», wollte sie von dem Sanitäter wissen.
«Klar. Alles weg, meine Liebe.»
«Gut. Letztes Mal hat Nero zwei Tiefkühlpizzen, ein halbes Päckchen Schokoladenkekse und einen Entenbraten gefressen. Seine Fürze haben einen noch tagelang umgehauen. Jim musste kotzen davon. Habe ich die Einkäufe weggeräumt?»
«Alles weggeräumt.»
Als die Sanitäter Nancy versorgt hatten, nahm Lily ihre Hand und erzählte dem verängstigten, müden kleinen Mädchen eine Geschichte mit einer Prinzessin und einem Drachen, und als sie ungefähr zur Hälfte damit fertig war, wollte Nancy wissen, wo ihr achtjähriger Bruder Dylan war.
«Ich weiß es nicht, Süße. Er war nicht zu Hause.»
«Doch. Er versteckt sich im Garten.»
«Warum das denn?»
«Weil er mir doch mit Pfeil und Bogen ins Auge geschossen hat.»
«Verdammte Hacke und Scheibenhonig mit Reis!»
Rachel war zu sehr damit beschäftigt, sich zu übergeben, um zu reagieren. Sie erreichten das Krankenhaus, und während Nancy in die eine und Rachel in die andere Richtung geschoben wurde, fuhr Lily mit dem Lift hinauf in den dritten Stock und traf dort auf Marion, die gerade mit dem Medikamentenwagen unterwegs war.
«Was tust du denn hier? Ich dachte, deine Schicht fängt erst morgen wieder an», sagte sie und musterte interessiert Lilys seltsamen Aufzug.
«Stimmt auch. In der Nachbarschaft hat es einen Unfall gegeben. Ein kleines Mädchen und seine Mutter. Ich muss dringend telefonieren.»
«Hoffentlich geht es ihnen gut», sagte Marion und schob den Wagen weiter.
Lily rief bei sich zu Hause an. Niemand ging ans Telefon, und sie versuchte es auf Scotts Handy. Auch hier brauchte sie drei Versuche, ehe er abhob.
«Himmel, Mum! Was denn ?»
«Wage es nicht, in diesem Ton mit mir zu sprechen! Und geh gefälligst an dein vermaledeites Telefon, wenn ich dich anrufe! Bei Rachel nebenan hat es einen Unfall gegeben. Du musst sofort rüberlaufen und über die Mauer in den Garten springen!»
«Was?»
«Ich bin mit Rachel und Nancy im Krankenhaus. Dylan versteckt sich irgendwo im Garten.»
«Und was soll ich da machen?»
«Such ihn, die Terrassentür ist angelehnt. Geh mit ihm durchs Haus oder mach das Gartentürchen auf und geh da raus. Sag ihm, dass es seiner Mutter und seiner Schwester gut geht, und nimm ihn mit zu uns.»
«Okay. Aber, Mum? Geht es ihnen denn
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