Niemand kennt mich so wie du
und mir selbst einen iPod gekauft.»
Der Aufzug hielt an, und die Frauen stiegen aus. Die Schwester beugte sich über Eve und strich ihr eine blutverklebte Haarsträhne aus der Stirn.
«Fast geschafft», sagte sie, doch Eve war in Gedanken woanders. Sie dachte an Ben. Wo ist er?
Der Lift hielt wieder, und es ging durch einen Flur weiter. Aus irgendeinem Grund hatte die Schwester ihren Schritt beschleunigt, denn auf einmal flogen die Deckenleuchten nur so vorbei.
Plötzlich hielten sie abrupt an, und ein Mann sagte zu der Krankenschwester, er würde mal nachsehen gehen. Die Frau betätigte die Bremse am Bett, denn es ruckte leicht.
«Jetzt dauert es sicher nicht mehr lange. Ich weiß, dass es sich im Augenblick nicht so anfühlt, aber es wird alles wieder gut», sagte die Schwester.
Die Stimme der Frau war Eve irgendwie vertraut, wie ein Lied, das sie zwar kannte und mitsingen konnte, dessen Interpret ihr aber nicht mehr einfiel. Dann war alles wieder still, und ihre Gedanken drifteten erneut zu Ben. Er war bei mir. Dann fiel ihr wieder ein, dass Ben eine Frau hatte, die sich bestimmt Sorgen um ihn machte. Wenn sie sein Telefon gefunden und bei ihm zu Hause angerufen hatten, würde sie sich fragen, was er auf dieser Straße zu suchen hatte. Die Polizei war involviert. Es würde einigermaßen schwer sein, die Wahrheit zu verbergen. Während sie auf dem Transportbett lag und auf ihre OP wartete, erkannte Eve, dass ihre ach so geheime Affäre ohne Verpflichtungen, die nie jemanden verletzen sollte, womöglich Ben, seine Frau und seine Familie zerstören würde.
Der Mann kam zurück, und sie setzten sich wieder in Bewegung. Die Schwester fasste Eves gesunde Hand, und Eve sah zu ihr hoch. Sie konzentrierte sich auf das Gesicht, und auf einmal befiel sie ein ganz und gar seltsames Gefühl. Diese Frau sah aus wie ihre alte Freundin Lily. Bist du das, Lily? Unmöglich. Oder doch? Du siehst ihr so ähnlich. Die Frisur ist anders, aber falls du es bist, steht dir ein Bob sehr gut, und du bist immer noch wunderschön. Das freut mich. Aber wenn sie es wäre, würde sie mich doch erkennen. Vielleicht aber auch nicht, vielleicht kann man mich gar nicht erkennen. Sie kamen an eine Tür, und das Transportbett blieb stehen.
Lily beugte sich über ihre Patientin und lächelte. «Sie müssen keine Angst haben. Ich kenne den Arzt, der Sie operiert, und er ist der beste», sagte sie und zwinkerte der Patientin zu.
«Lily?», flüsterte die Frau.
Lily sah ihre Patientin an. «Ja?»
«Eve», sagte die Frau und deutete mit der gesunden Hand auf ihre Brust.
Oh mein Gott! Eve!
Lily schlug sich die Hand vor den Mund.
«So schlimm?», sagte Eve.
«Nein», sagte Lily eilig. «Nein, nicht so schlimm, Eve, überhaupt nicht schlimm.»
«Ich hab dich vermisst», sagte Eve.
«Ich hab dich auch vermisst», antwortete Lily und hätte am liebsten angefangen zu weinen.
«Ben?», sagte Eve.
«Ben?», wiederholte Lily fragend.
«Ben Logan.»
«Ben Glenn Medeiros Logan?», fragte Lily entgeistert. Was zum Teufel?
«Bitte finde ihn, Lily», sagte Eve, und Lily nickte.
«Mache ich», versprach sie.
Die Tür zum OP glitt zur Seite, und dahinter wartete Adam in sterilen Handschuhen und OP-Kittel. Er winkte Lily zu. Der Krankenpfleger schob das Bett durch die Tür, und Eve war verschwunden.
4
Einsame Herzen
MITTWOCH, 11. JULI 1990
9.15 UHR
Liebe Eve,
okay, ich bin eine miese Freundin. Ich fühle mich schrecklich, und ich habe letzte Woche nach meinem Brief zweimal versucht, dich anzurufen, aber es war nie einer da. Ich hätte da mal ’ne Frage: Ist bei Familie Hayes eigentlich jemals wer zu Hause? Und habt ihr schon mal was von einem Anrufbeantworter gehört? Freitag bin ich im strömenden Regen (so viel dazu, dass hier immer schönes Wetter ist) zur Telefonzelle gelaufen und habe fünfundzwanzig Minuten lang gewartet, während die Tratschtante der Stadt jeden einzelnen Idioten, den sie kennt, angerufen hat, um ihn über die Heldentaten einer gewissen Lucille Thomas in Kenntnis zu setzen, die ihren Freund Benito mit ihrem Bruder knutschend im Garten erwischt hat. Am Anfang hat sie noch geflüstert, aber als ich mein Gesicht an die Scheibe gedrückt habe, um sie dazu zu bewegen, sich zu beeilen (hat nicht funktioniert), hat sie aufgehört leise zu sprechen. Bei ihrem vierten Telefonat hat sie dann endgültig geschrien, weil die Person am anderen Ende der Leitung offensichtlich halb taub war. Wahrscheinlich hat sie meinen Teint
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