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Niemand kennt mich so wie du

Niemand kennt mich so wie du

Titel: Niemand kennt mich so wie du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna McPartlin
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Erniedrigung, jedes Gefühl. Sie waren sich in vielem sehr ähnlich – beide als Einzelkinder aus kaputten Familien der elterlichen Liebe beraubt, die einem eigentlich von Natur aus zustand. Sie waren beide Kontrollfreaks und getrieben vom Ehrgeiz. In ihren Anfangsjahren pflegte Lily zu sagen, der einzige Unterschied zwischen ihnen bestehe darin, dass sie zwar emotional vernachlässigt, aber nie körperlicher Gewalt ausgesetzt gewesen war. In späteren Jahren wurde ihr klar, dass es zwischen ihnen noch einen weiteren Unterschied gab: Sie gab, und Declan nahm. Er fand in ihrer Akzeptanz, ihrer Liebe und ihrer Unterstützung Kraft, und sie fand in seiner Abhängigkeit Liebe. Sie brauchten einander verzweifelt. Sie passten zueinander wie der Schlüssel ins Schloss. Sie hatten sich ihre eigene kleine Welt geschaffen, in die niemand sonst eingeweiht war, nicht einmal Eve. Sie hätte es niemals verstanden, und Declan hätte sich umgebracht, wenn irgendwer von all dem erfahren hätte. Gott weiß, wie knapp er oft davor gewesen war, ehe sie einander gefunden hatten.
    Declan wollte nicht nur deswegen so verzweifelt in Cork studieren, weil er unsicher war, ob sein Durchschnitt ausreichen würde, um Lily nach Trinity zu folgen, wie Eve vermutete. Er wollte nach Cork, um von dem Haus wegzukommen, das ihm auch zwanzig Jahre später noch Albträume bescherte, und Lily wäre ihm damals sogar auf den Mond gefolgt, um ihn zu retten. Als Declan in Cork einen Studienplatz bekam, brach er den Kontakt zu seinen Eltern ab und setzte nie mehr einen Fuß in das Haus. An dem Tag, nachdem er aufs College gegangen war, zog seine Mutter aus. Sie ging zu ihrer Schwester nach Sligo, die dort auf einem Bauernhof lebte. Sie und ihr Sohn schrieben sich zu Ostern und zu Weihnachten Karten, doch sie gestand sich ihre Mitschuld an Declans Misshandlungen nie ein. Sie entschuldigte sich nie und versuchte auch nie, es wiedergutzumachen. Vielleicht sah sie keine Notwendigkeit dafür, aber vielleicht war es ihr auch einfach nicht wichtig. Wie dem auch sei, die Beziehung zwischen Mutter und Sohn beschränkte sich auf besagte zwei Grußkarten im Jahr.
    Declan und Lily waren seit neun Jahren verheiratet, und Scott war acht Jahre alt, als auf einmal Declans Vater vor der Tür stand. Es war an einem Sonntag. Er schüttelte seinem verblüfften Sohn die Hand und erklärte, er habe die Adresse im Telefonbuch ausfindig gemacht und es einfach mal bei ihnen versuchen wollen. Lily war zu Anfang starr vor Angst, und Declan war zwar fassungslos, aber jeden Moment bereit zuzuschlagen. Doch dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Das Untier, das Declan das Leben derart zur Hölle gemacht hatte, saß im Hause seines Sohnes am Küchentisch und flehte ihn um Vergebung an. Zu dem Zeitpunkt war er seit vier Jahren trocken. Er war Mitglied bei den Anonymen Alkoholikern, und Declan war die letzte Person auf seiner Liste, mit der er reinen Tisch machen wollte.
    «Ich habe dich schlimmer verletzt als irgendwen sonst», sagte er.
    «Du warst ein Tier», antwortete Declan.
    «Ja.» Er weinte und versuchte zu erklären, was ihm damals im Internat angetan worden war.
    Doch Declan wollte nichts davon hören. «Ich will es nicht wissen. Es interessiert mich nicht. Es ist keine Entschuldigung», sagte er, und sein Vater ließ das Thema fallen.
    Lily musste oft an jenen Tag denken und daran, dass Declan seinem Vater gesagt hatte, die Qualen, die er unter der harten Hand der Klosterbrüder erlebt habe, seien keine Entschuldigung. Darin gab sie ihm recht. Sie wünschte nur, Declan könnte erkennen, dass für sein Verhalten dasselbe galt. Natürlich war Declan nicht mit seinem Vater zu vergleichen. Er würde niemals Hand an seine Kinder legen, und obwohl er unglaublich viel Wut und Verbitterung mit sich herumschleppte, kämpfte er Tag für Tag gegen seine Dämonen an. Lily wusste, dass Declan tat, was er konnte – sie wünschte nur, er wäre zu mehr in der Lage.
    Nach jenem Tag tauchte Declans Vater öfter bei ihnen auf. Er war fest entschlossen, Wiedergutmachung zu leisten, und als Declan merkte, dass er es ernst damit meinte, eine Beziehung zu ihm aufzubauen, und dass er sich grundlegend gewandelt hatte, erlaubte er ihm, einmal im Monat zu Besuch zu kommen. Sie trafen sich ausschließlich in Declans Haus, wo er selbst Herr der Lage war, denn das war die einzige Möglichkeit für ihn, diesen Mann wieder in sein Leben zu lassen. Declans Vater hatte sich in Therapie begeben und war Mitglied

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