Niemand kennt mich so wie du
Sie lernten sich in einem Club kennen, und Paul wusste es auf den ersten Blick. Ich liebe dich. Paddy hatte Haare wie Samson. Er war breitschultrig und mit seinem dunklen Teint im Prinzip eine männliche Version von Lily. Er war genauso weich und offenherzig wie sie und genauso liebenswürdig. Er war witzig, lebensbejahend, freigeistig, inspirierend, und vor allen Dingen wusste er, wer er war. Etwas, das Paul nie wirklich gelungen war. Als er sich in Paddy verliebte, ruhte er plötzlich zum ersten Mal im Leben in sich selbst. Paddy war stolz darauf, ein schwuler Mann zu sein, und erwartete dasselbe auch von seinem Partner. Damit die Beziehung zu dem Mann, den er liebte, eine Chance hatte, offenbarte Paul sich seinen Eltern, und er störte sich weder an deren Engstirnigkeit noch an ihrer lächerlichen Reaktion. Denn er war verliebt, und das von seiner Seite aus für immer – folglich war er schwul. Aber er hörte nie auf, die Schönheit einer Frau zu registrieren, ihre Kurven, ihre Haut, ihren Duft, ihr Haar, die Art, wie sie sich bewegte. Er hatte zwar schon sehr lange keine Frau mehr begehrt, mochte sie auch noch so schön sein, doch sie fielen ihm immer noch auf. Nach vielen Jahren als Paar wurde ihr Sexualleben zwar etwas uninteressant, doch Paul und Paddy blieben weiterhin enge Freunde. Paul liebte Paddy noch immer, aber er legte keinen Wert mehr darauf, das Bett mit ihm zu teilen. Paddy ging es genauso, doch weil sie ein Heim und einen Hund und ein Leben teilten, weigerten sie sich beide, es zuzugeben. Bis zu einem Freitagabend, als Paddy übers Wochenende zu einer Tagung in Brighton war und Paul in Dublin einen Pub besuchte und dort eine Frau namens Simone kennenlernte.
Cappuccinofarbener Teint, braune Augen und dunkelbraunes, seidiges Haar: genau sein Typ. Sie saß neben ihm, nippte an ihrem Bier und war in die Lektüre eines Artikels in der Vanity Fair versunken. Paul konnte die Augen nicht von ihr lassen. Er beobachtete ihre Reaktion auf das, was sie las. In einem Moment lächelnd, dann schockiert, dann traurig. Er konnte ihr jedes Gefühl vom Gesicht ablesen und war fasziniert von ihrer Schönheit und der emotionalen Offenheit. Als sie gehen wollte, bückte sie sich und merkte, dass ihre Handtasche weg war. Sie stand auf und sah sich ungläubig um. Paul hatte die Tasche im Laufe des Abends gesehen und nebenbei registriert, dass es sich um eine Mulberry handelte. Allerdings wusste er das nur, weil seine Kollegin Emma ein fanatischer Mulberry-Fan war und von ihren mindestens fünf Taschen sprach wie von Haustieren. Doch er war so von ihrem Mienenspiel fasziniert gewesen, dass auch er nicht gemerkt hatte, wie sich jemand an die Tasche herangeschlichen und sie gestohlen hatte. Als ihr klarwurde, dass die Tasche weg war, wirkte sie völlig verloren. Er stand auf und fragte, ob er helfen könne. Sie sagte, ihr sei die Handtasche gestohlen worden, und war furchtbar verlegen, weil sie ihr Bier nicht bezahlen konnte. Paul erbot sich augenblicklich, die Rechnung zu übernehmen, begleitete sie zur Polizei, wo sie Anzeige erstattete, und bestand darauf, dass sie sein Mobiltelefon benutzte, um ihre Karten sperren zu lassen. Als die Anzeige erstattet, alle Kreditkarten gesperrt und es Abend geworden war, fragte er sie, ob sie mit ihm essen gehen wolle. Sie wollte. Schließlich landeten sie in seinem Bett, und zwar das ganze Wochenende lang.
Als Paddy am Montag zurückkam, bat Paul ihn, sich zu setzen, und gestand ihm ohne Umschweife, dass er jemanden kennengelernt habe. Paddy traute seinen Ohren nicht, vor allem als Paul zugab, dass es sich um eine Frau handelte. Er war am Boden zerstört, weil ein Seitensprung mit einer Frau in seinen Augen schlimmer war als einer mit einem Mann. Paul wollte ihm nicht weh tun und war selbst verzweifelt, weil er alles zerstörte. Es war an der Zeit. Sie stritten, sie schrien, und sie weinten. Paul machte Paddy darauf aufmerksam, dass sie seit Jahren nicht mehr so leidenschaftlich gewesen waren wie in diesen Stunden. Ehe er Paddy und ihren Hund Samba verließ, küsste er sie beide, dann zog er tieftraurig in ein Hotel. Eine Woche später mietete er in seiner Heimatstadt ein Haus, und ein Jahr darauf kaufte er es.
Seitdem war Simone der Mittelpunkt seines Lebens. Sie arbeitete als Model und verbrachte viel Zeit im Ausland. Sie lebte in London, und als die beiden sich kennenlernten, war sie gerade zu einem Shooting in Irland gewesen. Das gemeinsame Wochenende war für beide nur ein
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