Niemand kennt mich so wie du
stumm, das Gehörte zu verdauen.
Seine Frau wandte sich an ihn. «Was glaubst du?», fragte sie.
«Was ist mit uns allen passiert?», fragte er zurück.
Declan war Gars bester Freund gewesen, zumindest hatte er das damals geglaubt. Als Declan nach Cork ging und sämtlichen Kontakt von heute auf morgen einstellte, verletzte ihn das tief. Er hatte nie verstanden, weshalb. Als sie Kinder waren, zweifelte er Declans Geschichten über seine Verletzungen nie an, und Gar war nie bei ihm zu Hause gewesen. Nachdem Declans Mutter verschwand, hörte er zwar einige Gerüchte, schenkte ihnen aber keinen Glauben. Er kannte Declans Vater, seine Familie ließ bei ihm ihre Autos reparieren, und er war ein netter Mann. Er fragte sich, weshalb Declan und Lily beschlossen hatten, sämtliche Verbindungen zu ihrer Heimatstadt und den Leuten, die ihnen nahestanden, zu kappen. Er hatte keine Ahnung, was er verbrochen hatte, um auf so brutale Weise ausgeschlossen zu werden. Er wuchs in dem festen Glauben auf, irgendwann Declans Trauzeuge zu sein und andersherum. Sie luden ihn nicht mal ein, als die beiden ein Jahr nach ihrem Weggang heirateten. Im Gegenteil, er erfuhr von der Hochzeit erst acht Jahre später, als er bei Declans Vater seinen Wagen aus der Werkstatt holte. Er war zu wütend, um Fragen zu stellen. Er wollte nichts wissen. Es war ihm egal. Eve tat ihm leid, und er würde sie selbstverständlich besuchen, aber der Gedanke, dass er dabei Lily oder – Gott bewahre! – Declan über den Weg lief, war ihm nicht geheuer. Scheiß auf alle beide!
Nachdem Paul das Telefonat mit seinen Freunden beendet hatte, trank er bei sich zu Hause noch ein Bier. Er war erschüttert, weil Eve vier Tage lang allein im Krankenhaus gelegen hatte, ohne auf die Idee zu kommen, ihn anzurufen. Ihm war bewusst, dass sie ihre Freundschaft erst vor kurzem wieder neu belebt hatten, und er verstand auch ihr Bedürfnis nach Privatsphäre – wenn jemand Verständnis dafür hatte, dann er. Es machte ihm nichts aus, dass sie ihm nichts von Ben erzählt hatte, aber es machte ihm etwas aus, dass sie um ein Haar gestorben wäre und er nichts von dem Unfall erfahren hätte, wäre er nicht aus Versehen am Geldautomaten ihrem Bruder in die Arme gelaufen. Ich dachte, wir wären Freunde. Erst neulich, als sie nach ihrem letzten Tennismatch noch etwas zusammen trinken waren, hatte er tatsächlich erwogen, sie ins Vertrauen zu ziehen. Paul war außergewöhnlich verschlossen. Er gab so gut wie nichts von sich preis, doch an dem Abend ließ Eve nicht locker. Und dabei hat sie’s die ganze Zeit heimlich mit Ben Logan getrieben, das freche Biest! Sie waren beide in Gedanken versunken. Das Match war anstrengend gewesen, sie hatten einander nichts geschenkt und den Kampf genossen. Am Ende hatte er gewonnen, aber denkbar knapp. Als sie später an der Bar einen süßen Typen entdeckte, erwähnte sie es, aber Paul war nicht ihrer Meinung.
«Er ist zu klein.»
«Daran ist doch nichts verkehrt», antwortete sie.
Jetzt wird mir einiges klar! Verfluchter Ben Logan!
«Bist du momentan eigentlich mit jemandem zusammen?», fragte sie zum hundertsten Mal, und in dem Moment wollte er sich ihr am liebsten anvertrauen, aber dann tat er es doch nicht. Zu viele Fragen.
In dem Umfeld, in dem Paul aufgewachsen war, zählten harte Arbeit, Heirat, Kinder und ein Eigenheim. Schon als er jung war, wusste er, dass er anders war, aber er wusste lange Zeit nicht, worin dieses Anderssein bestand. Er fand Mädchen toll, war groß, sah gut aus, hatte einen durchtrainierten Körper, spielte in einer erfolgreichen Rugbymannschaft und konnte sich seine Freundinnen quasi aussuchen. Er trieb sich häufig außerhalb seiner Heimatstadt herum, aber nicht, weil er dort nach Typen Ausschau hielt, wie alle vermuteten, nachdem er sich geoutet hatte, sondern weil Lily Brennan das einzige Mädchen war, für das er sich wirklich interessierte. Doch die war an einen seiner besten Freunde vergeben. Eve sah zwar gut aus, aber er hegte nie tiefere Gefühle für sie. Lily hingegen hätte er sogar geheiratet. An jenem Abend wollte er Eve eigentlich erzählen, dass er sich damals zu all den Mädchen tatsächlich sexuell hingezogen gefühlt hatte und er sich nur aus einem Grund geoutet hatte. Obwohl er damals mit all seinen Freundinnen und auch mit vielen Jungs großartigen Sex hatte, war ihm im Grunde niemand wirklich wichtig – bis er Paddy begegnete und sich Hals über Kopf in ihn verliebte.
Paddy war der Richtige.
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