Niemand kennt mich so wie du
ich dich auch liebe, und dann schmieden wir Pläne, und alles wird gut. In meinen Träumen werde ich deine Frau sein, und diese Nacht an der Mauer wird es niemals geben. Es wird kein Auto mit einem Betrunkenen am Steuer geben. Es wird dich und mich geben, und Kinder und Enkelkinder und den ganzen kitschigen Kram, den du damals wolltest, in jener Nacht, als du neunzehn warst.» Eve trocknete sich mit dem Verband die Tränen ab. «Es tut mir leid, dass ich so blöd war.»
Danach schwieg sie und ließ ihre Tränen fließen wie einen Fluss, der alles mit sich fortspülte, was in ihrem gebrochenen Herzen war. So wie in dieser Nacht hatte sie noch nie um jemanden oder um etwas geweint, und sie wusste nicht, ob es daran lag, dass sie um ein Haar selbst ums Leben gekommen wäre, ob es ihre Schuldgefühle waren oder Liebe oder das Morphium. Als Scott und Lily wieder hereinkamen, um sie zurück in ihr Zimmer zu bringen, war Eve so traurig, voller Angst und betäubt zugleich wie noch nie in ihrem ganzen Leben. Sie konnte ihn nicht berühren, sie konnte keinen letzten Blick auf ihn werfen. Alles, was ihr blieb, war, die Hand ihrer alten Freundin zu umklammern, zu seufzen und zu schluchzen und sie anzuflehen kehrtzumachen, damit sie ihn noch ein letztes Mal ansehen konnte. Es hätte mich treffen sollen. Es hätte mich treffen sollen. Es hätte mich treffen sollen.
«Oh, Lily, bitte, bitte, fahr mich noch mal zurück und lass mich seine Hand halten, nur eine Minute lang!»
Als Eve wieder in ihrem Bett lag, blieb Scott an der Tür stehen und beobachtete, wie seine Mutter diese verzweifelte Frau beruhigte. Sie streichelte ihr übers Haar und flüsterte ihr leise Worte ins Ohr, so wie sie es so oft bei ihm und seiner Schwester getan hatte. Er konnte nicht verstehen, was sie sagte, doch langsam wurde die Frau ruhiger. Als Lily gehen wollte, hielt Eve ihre Hand fest. Lily beugte sich hinunter, küsste sie auf die Stirn und sagte etwas, das der Frau offensichtlich Frieden schenkte. Lily deckte sie bis zum Hals zu und steckte das Laken fest. Sie schaltete das Nachtlicht aus und ließ die Frau allein. Sie starrte bewegungslos und stumm zur Decke.
Auf dem Rückweg fragte Scott seine Mutter, was sie zu ihr gesagt hatte.
«Ach, nichts», antwortete Lily.
«Komm schon, sag’s mir.»
«Ich habe gesagt: Ich mach es wieder gut», sagte sie.
Scott lachte laut auf. «Du machst es wieder gut? Der Typ ist ein verficktes Ersatzteillager!»
«Verfickt sagt man nicht, das ist wirklich vulgär», wies sie ihn zurecht und dachte mit Reue an das, was sie zu Clooney gesagt hatte.
«Tut mir leid! Aber ich meine … Was soll das?»
«Erinnerst du dich noch daran, als du zehn warst und dein allerbester Freund der Welt nach Kerry gezogen ist und du geweint und geweint und geweint hast?»
«Wie hieß er noch mal?»
«Steven Maher.»
«Steven Maher, Gott, den muss ich gleich mal bei Facebook suchen.»
«Jedenfalls warst du ganz verzweifelt, und ganz egal, was dein Vater oder ich dir versprochen haben, nichts konnte dich trösten. Kein neuer Fußball, kein Ausflug in den Zoo, nichts, kein …»
«Okay, Mom, ich hab’s verstanden.»
«Na ja, und erst als ich dich in den Arm genommen habe und gesagt habe, ich mache es wieder gut, hast du dich beruhigt.»
«Vielleicht war ich einfach erschöpft vom Weinen.»
«Vielleicht. Vielleicht wusstest du aber auch, dass ich wirklich alles in meiner Macht Stehende versuchen würde, um es wiedergutzumachen.»
«Du bist verrückt, Mum.»
«Danke, mein Sohn.»
Die übrige Rückfahrt verbrachten sie schweigend. Sie verlor sich in lange vergangenen Zeiten, und er grübelte darüber nach, warum die verzweifelte Frau vor seinem Vater geheim gehalten werden musste. Als Lily das Auto geparkt hatte und sie hintereinander zur Haustür gingen, drehte er sich zu seiner Mutter um.
«Deine Freundin tut mir leid», sagte er.
«Sie ist nur eine Frau, mit der ich Mitgefühl habe», versuchte Lily ihn anzulügen.
«Sie ist das Mädchen auf den Fotos, die du in der Schuhschachtel in deinem Schrank versteckst», sagte er und gab ihr die fünfzig Euro zurück. «Ich weiß nicht, warum du lügst oder dich so komisch benimmst, aber ich verspreche, dass ich kein Wort sagen werde.»
Lily hätte wütend sein sollen, weil ihr Sohn in ihren Sachen herumschnüffelte, doch dazu saß der Schrecken zu tief.
«Du hast diese Briefe aber nicht gelesen, oder, Scott?», fragte sie und versuchte, ihre Furcht zu verbergen.
«Nein. Ein
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