Niemand lebt von seinen Träumen
… ich will dir ein ganzes Leben dafür danken …«
18
Noch immer lag der weite Atlantik vor dem Kiel der ›Giesela Russ‹. Nachdem das Schiff die Azoren hinter sich gelassen hatte, nahm es geraden Kurs auf New York. In den langen Wellen des Meeres schaukelte es träge hin und her. Die Passagiere hatten großes Glück mit dem Wetter. Es hatte bis jetzt noch nicht einen Tag geregnet. Auf Deck sonnte und räkelte man sich in der Sonne, und aus einem riesigen Lautsprecher wurden die neuesten Schlager der amerikanischen Radiogesellschaften und die Nachrichten aus Deutschland und den USA übertragen.
Susanne hatte alle Hände voll zu tun, als Stewardeß die Wünsche der Passagiere zu erfüllen. Hier einen Eiskaffee, dort einen Syphon mit Whisky, der eine wollte einen Cobbler blanche, der andere einen Cocktail mit Früchten. Stunde um Stunde jagte sie hin und her, über das Sonnendeck zum Zwischendeck, vom Zwischendeck zum Kiel, von dort quer über das Schiff zum Heck. Dann wieder hinab zur Küche, wo Jim sie jedesmal mit schmachtenden Augen empfing, und wieder hinauf zum Sonnendeck und den wartenden Gästen.
Und immer lächeln. Immer freundlich sein. Immer nicken, nette Antworten geben, nichts vergessen und Namen behalten, die ihr fremder waren als der Urtext der assyrischen Keilschrift von Babylon. Die Füße taten ihr schon nach drei Stunden weh. Nach vier Stunden zitterten die Hände, wenn sie ein Tablett hielt, nach fünf Stunden hatte sie Augenschmerzen und Ohrensausen. Und immer weiter bedienen, immer treppauf, treppab … lächeln, freundlich sein … auf jeden Wink zur Stelle sein. Und die Sonne schien vom Himmel und dörrte die Kehle aus.
Am Abend sank sie dann nach dem Abendessen mit Professor Krausz und Kapitän Brake todmüde in ihre Koje, kroch mit letzter Kraft in ihre Hängematte und ließ sich in einen tiefen, traumlosen Schlaf schaukeln.
Oft hatte ihr der Professor angeboten, diese Verpflichtung aufzugeben – aber mit dem Willen, sich nichts schenken zu lassen und ihr Versprechen auf jeden Fall zu halten, lehnte sie sein großzügiges Angebot ein ums andere Mal ab und nahm am nächsten Morgen den schweren Dienst wieder auf. Pit und Johnny halfen ihr so gut es ging, nahmen ihr manchen Weg ab, füllten die Drinks in die Gläser, die sie eigentlich selbst zu bereiten hatte, reichten sie hinüber, so daß sie sie nur noch zum Gast zu tragen brauchte. Und doch war es für Susanne mehr als eine Strafarbeit, die ihren zarten Körper, trotz der in ihm wohnenden Energien, sichtlich schwächte.
»Der Alte ist verrückt«, sagte eines Abends Pit zu Johnny und Jim. »Läßt die Susanne vor die Hunde gehen! Und das arme Ding hat einen Dickkopf und macht das mit! Jim, du Holzklotz, fordere sie doch für deine Küche an.«
»Das will sie ja gar nicht«, sagte Jim resignierend. »Sie könnte bei mir wie im Paradies leben.«
»Vielleicht kann ich sie für die Mannschaftsküche kriegen?« meinte Pit. »Kartoffeln schälen – das ist nicht schwer. Und unsere Wäsche stopfen, das kann sie auch im Sitzen. Dabei ruht sie sich vielleicht ein wenig aus. Werde schon dafür sorgen, daß sie keine Berge zum Stopfen bekommt …«
Johnny übernahm es, Kapitän Brake von dem Wunsch der ›gesamten Mannschaft‹ zu unterrichten. Kim Brake schaute Johnny groß an und nickte. »Von mir aus braucht das Mädel überhaupt nichts zu tun, aber sie will ja arbeiten!«
»Um so besser, Käpt'n.« Johnny strahlte über das ganze Gesicht. »Dann können wir sie also haben?«
»Von mir aus. Wenn sie will.«
»Danke, Käpt'n.«
Er rannte die Treppen von der Brücke polternd hinab und schnappte sich Susanne, die gerade einen Gin Tonic zum Sonnendeck brachte.
»Schmeiß die Soße ins Meer, Kleene«, schrie er. »Et is Schluß mit der Bedienerei! Jetzt kommst du zu uns und päppelst uns hoch! Wat, da staunste? Komm mit – wir warten schon alle auf dich.«
Und wieder verrann ein Tag auf dem Atlantik. Susanne saß am Heck an der Reling, schaute auf den Schaum, den die Schiffsschrauben verursachten, indem sie das Meer aufpeitschten, und nähte den Matrosen Knöpfe und Laschen an die Unterhosen. Dem einen setzte sie einen neuen Hosenboden ein, dem anderen erneuerte sie den Zwickel, der dritte hatte sich die Knie durchgewetzt … die Nadel fuhr durch den Stoff, während die Haare im Wind flatterten und die Musik, die vom Sonnendeck herüberwehte, gab den Rhythmus an, mit dem Susanne die Nadel durch den Stoff zog.
Das war ein Leben
Weitere Kostenlose Bücher