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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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der Küche keinen Mann gebrauchen, der nicht mal fähig sei, mit einem Samowar umzugehen.
    Der Tee war heiß und stark, die beste Qualität aus Georgien. Fast alles, was sie neuerdings aßen und tranken, war von bester Qualität. Sie sah erwartungsvoll aus, und nach einigen Minuten konnte sie nicht mehr an sich halten, sondern begann zu erzählen, was ihr im Verlauf des Tages widerfahren war.
    Sie hatte von ihrem alten Professor in Moskau einen Brief erhalten. Dieser hatte von einer amerikanischen Universität in Boston einen Auftrag erhalten. Sie war nicht sicher, ob die Stadt so hieß, glaubte es aber. Es ging um die Möglichkeit, dort ein Jahr als Gastchirurgin zu arbeiten. Ihr alter Vorgesetzter sollte für dieses Gastspiel fünf Chirurgen auswählen.
    »Jetzt hat er mir also geschrieben und mich gefragt, ob ich interessiert bin.«
    Alexej Mordawin blieb stumm. Er versuchte zu sagen, eine solche Gelegenheit dürfe sie nicht versäumen, aber sie tat das lachend mit der Bemerkung ab, angesichts der Tatsache, daß sie mit einem Offizier der Atom-U-Boot-Flotte verheiratet sei, werde sie wohl ohnehin keine Ausreisegenehmigung erhalten.
    »Das hat vielleicht keine große Bedeutung mehr«, wandte er ein, »denn neuerdings bekommt ja fast jeder eine Ausreisegenehmigung.«
    »Es wird sowieso nicht gehen. Du kannst ja jederzeit wieder ein Kommando auf See erhalten, denn dieses Bombensortieren muß ja irgendwann mal aufhören. Außerdem ist Sascha noch in Kirgisien, und Pjotr besucht noch das Gymnasium. Verantwortungsbewußt denkende Eltern können doch einen Siebzehnjährigen nicht einfach sich selbst überlassen. Außerdem sitzt meine Verwandtschaft in Moskau, und deine unten auf der Krim.«
    Er gab auf und wechselte das Thema. Die Möglichkeit, die er zu erkennen geglaubt hatte, ließ sich ohnehin nicht erklären.
    »Warum aber«, sagte er, »warum um Himmels willen wollen amerikanische Krankenhäuser sowjetische Chirurgen bei sich arbeiten lassen?«
    »Russische«, korrigierte sie ironisch. »Ob die Sowjetunion nun noch existiert oder nicht, ich bin jedenfalls Russin. So wie man mir die Sache erklärt hat, liegt das Ganze daran, daß russische, na ja, von mir aus auch sowjetische Chirurgen durch die Umstände gezwungen werden, ganz anders zu arbeiten als amerikanische. In Amerika sind alle Chirurgen spezialisiert. Manche arbeiten beispielsweise nur mit dem Dickdarm, andere wühlen ein Leben lang im Hintern von Leuten herum und tun nichts anderes. Dann gibt es Chirurgen, die nur plastische Operationen vornehmen, was drüben wahrscheinlich tausendmal üblicher ist als hier. Andere operieren nur den Thorax oder den Harnleiter, und so weiter. Sie haben eine maschinelle Ausrüstung, die der sowjetischen oder von mir aus russischen unendlich überlegen ist. Das erleichtert unleugbar diese hochgradige Spezialisierung. Hier bei uns muß man von allem ein bißchen können, erstens, und zweitens müssen wir im Verlauf unserer Arbeit zu improvisieren lernen, persönliche Methoden entwickeln und Geräte für Dinge verwenden, für die sie ursprünglich gar nicht vorgesehen waren. Wenn ich zum Beispiel ein neues Gerät oder Besteck in die Hand bekomme, frage ich mich immer, wofür man es neben dem angegebenen Zweck noch verwenden kann. Und diese allgemein praktizierende Chirurgie hat in Amerika ein besonderes Anwendungsgebiet, nämlich in ihren Notaufnahmen. In den Notaufnahmen quellen ihnen jeden Abend ungeheure Mengen von Gewalt und Verkehrsopfern ins Haus. Das ist so eine Art Kriegschirurgie. Und wenn dann so ein Dickdarmspezialist gerade Dienst hat, kann man sich das Ergebnis vorstellen.«
    Er sah sie an und lachte. »Ich bin sehr stolz auf dich. Außerdem freut es mich, daß unser altes Vaterland noch das eine oder andere hat, was der Welt Nutzen bringen kann, wenn ich mal von meinem Tätigkeitsgebiet absehe.«
    »Diese Formulierung finde ich nicht besonders gelungen«, protestierte sie, »denn mir erscheint es zweifelhaft, daß die Welt von deiner Tätigkeit irgendeinen Nutzen hat.«
    Er wich einer Diskussion jedoch aus, indem er nur die Schultern zuckte und ein Lächeln zeigte, das mehrere Deutungen zuließ.
    »Können die Amerikaner vielleicht noch etwas von dir lernen?« fragte sie herausfordernd. »Haben Sie vielleicht U- Boote von derselben Klasse wie unsere?«
    »O ja«, gab er düster zu. »Das stimmt schon. Ihre U-Boote der Ohio-Klasse sind in mehrerer Hinsicht sogar mit unserer »Alexander Newskij« vergleichbar.«
    Er

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