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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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selbst über den Grund für dieses Gespräch informiert sein sollten, das für unsere beiden Länder so unerhört wichtig ist.«
    Die Worte schienen wie Steine in den Kopf des russischen Spionagechefs zu sinken. Er rührte jedoch noch immer keine Miene, und seine nächste Äußerung war sehr kurz.
    »Und woher soll ich ihn kennen?«
    »Sie haben schon geantwortet, Genosse General«, erwiderte Carl schnell, während er den Dolmetscher mit einer Handbewegung am Übersetzen hinderte. »Wenn Sie bereits wüßten, weshalb ich hier bin, gäbe es keine Probleme. Jetzt wissen Sie aber nicht Bescheid, und damit habe ich Anweisung, in aller Form um ein persönliches Zusammentreffen mit Ihrem Präsidenten zu ersuchen.«
    Carl fühlte sich recht zufrieden. Er hatte seine Angelegenheit konkret, deutlich und einigermaßen höflich vorgetragen. Wenn dieser versoffene Boß sich jetzt entschloß, ihn hinauszuwerfen, war der Auftrag auf jeden Fall erledigt. Dann konnte er schon am nächsten Nachmittag wieder bei Tessie sein.
    »Ihr Ersuchen ist sehr ungewöhnlich«, begann Jewgenij Primakow. Carl kam es vor, als hätte der Mann das Gesprächstempo weiter verlangsamt. Das verhieß nichts Gutes für eine schnelle Heimreise.
    »Unsere diplomatischen Beziehungen sind ja vollkommen problemlos, und die Verbindungen unserer Außenministerien funktionieren ohne Fehl und Tadel«, fuhr der Russe fort, als dächte er laut. Er sprach jetzt so langsam und anscheinend gezwungen deutlich, daß Carl sogar seinen russischen Worten folgen konnte. »Ihr Ersuchen ist folglich beispiellos, und ich vermag keinen Grund zu finden, weshalb wir darauf eingehen sollten. Denn was sollten Sie dem Präsidenten unseres Landes sagen können, was Sie nicht auch mir sagen könnten? Ich bin immerhin, wie Ihnen wohl klar ist, einer seiner engsten Mitarbeiter. Und wenn auch aus keinem anderen Grund, so würde es doch allzu merkwürdig aussehen und böswillige Augen besorgt machen, wenn wir einen kleinen schwedischen Kapitän zur See zum Präsidenten vorlassen. Nein, ich möchte Sie keineswegs herabsetzen, Genosse Kapitän, aber ich glaube, daß Sie mich trotzdem verstehen.«
    Der letzte Teil der Darlegung war für Carl sprachlich zu kompliziert gewesen. Er wartete die Übersetzung ab und stellte gleichzeitig fest, daß es schon praktisch war, per Dolmetscher ein Gespräch zu führen. So hatte er mehr Zeit zum Nachdenken. Dies erklärte vielleicht auch, daß, wie manche vermuteten, sämtliche Russen, mit denen man sprach, des Englischen durchaus mächtig waren oder wie jetzt vielleicht sogar des Schwedischen und dennoch auf einen Dolmetscher nicht verzichteten.
    »Ich habe einen Vorschlag«, sagte Carl kurz, nachdem er sich während der Übersetzung einiges zurechtgelegt hatte. »Sie können die Entscheidung ja dem Präsidenten selbst überlassen. Nämlich ob er mich in einer Angelegenheit, die unsere Regierung für so wichtig hält, daß sie so dramatisch von den üblichen diplomatischen Gepflogenheiten abweicht, nun treffen will oder nicht.«
    Jewgenij Primakow lehnte sich schwer keuchend zurück, nahm nachdenklich zwei Kekse auf einmal und stopfte sie in sich hinein. Sie wurden eher zermalmt als genossen.
    »Nun«, sagte Primakow, nachdem er kurz nachgedacht hatte.
    Dann wartete er noch ein wenig, bis der Mund von hingerichteten Keksen befreit war. »Was soll ich Ihrer Ansicht nach sagen, um Ihr Ersuchen zumindest zu erklären oder das Verständnis des Präsidenten für die Bedeutung Ihres Anliegens zu wecken?«
    »Sagen Sie ihm, daß es um etwas geht, was wichtiger ist als alles andere, eine Angelegenheit überdies, die dem Präsidenten Finnlands bekannt ist. Sagen Sie ihm nur das, nichts sonst«, sagte Carl.
    »Nur das, nichts sonst?« wiederholte der Russe stirnrunzelnd.
    »Ja, nur das«, bestätigte Carl.
    Jewgenij Primakow schien sich offenbar sehr düsteren Gedanken hinzugeben. Dann nickte er sacht, legte seine beiden fetten Hände auf die Tischplatte und erhob sich mit sichtlicher Mühe.
    »Warten Sie in Ihrem Hotel«, sagte er, drehte sich um und ging ohne weitere Abschiedsworte zu seinem Schreibtisch. Carls Begleiter zupfte ihn nervös am Ärmel und führte ihn zum Ausgang.
    Sie wollten gerade durch die Tür zum Vorzimmer schlüpfen, als der Spionagechef am anderen Ende des Raums es sich anders überlegte. Er sagte etwas, was nicht übersetzt zu werden brauchte, und winkte die beiden Männer mit einer Geste herbei, die unmißverständlich war. Sie durchquerten

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