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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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anderen Autorität sprach als ein gewöhnlicher Chef oder Ausbilder. Die Männer wußten, wer er war, und hatten ihn deshalb sofort erkannt, als er das Zimmer betrat. In diesem Augenblick hatte jeder auch schnell begriffen, daß eine sehr ernste Sache bevorstand, wenn er das Unternehmen leiten sollte.
    Carl spürte die neue Spannung im Raum und brachte das Gespräch auf technische Dinge, denn da bedurfte manches noch des Feinschliffs. Die erste Frage, die man in Angriff nehmen solle, sagte er, sei die Feststellung, wo man den Fangarm auslegen solle, in welcher Entfernung vom Bestimmungsort der feindlichen Gruppe und in welchem Abstand zwischen den beiden Gruppen, in die sie sich vielleicht teilen müßten. Dies war fast reine Mathematik, eine bekannte Taktik, für die es vorgefertigte mathematische Formeln gab, die den meisten Anwesenden bekannt waren und die sie im Schlaf beherrschten.
    Kolja Mordawin fühlte sich fast euphorisch vor Glück. Alles, was noch vor kurzer Zeit wie ein elender Fehlschlag ausgesehen hatte, war jetzt ins Gegenteil verkehrt. Juha hatte weniger als zwei Tage nach der katastrophalen Entdeckung in den Proviantsäcken in der Dunkelheit eine kleine Rentierherde aufgespürt. Er hatte mit seinem Schnellfeuergewehr direkt in die Herde gehalten, und drei Rentiere waren liegengeblieben. Das war so viel Fleisch, daß sie sich sogar erlauben konnten, nur die besten Stücke zu nehmen und den Rest den Wölfen zu überlassen. Das zähe, trockene Fleisch hatten alle schon ziemlich satt gehabt. Jeder hatte es nur gegessen, weil es nichts anderes gab, aber nicht etwa, weil es gut schmeckte. Jetzt aßen sie gekochtes Rentierfleisch in einer fetten Brühe und dazu Käse und Vollkornbrot und tranken heißen Tee. Ein besseres Mittel gab es nicht, sich gegen die Kälte zu wappnen. Kolja hatte nicht einmal über die katastrophale Lage zu sprechen brauchen, da Juha und Jorma ihn schnell davon überzeugt hatten, daß es besser sei, das Problem zu lösen, statt wegen des fehlenden Proviants Krach zu schlagen.
    Mike Hawkins hatte ihm einige besondere Instruktionen für den Fall gegeben, daß es in der Gruppe zu Streit kam. Das war offenbar schon einmal vorgekommen, wenn auch unklar war, wo und auf welche Weise, da Mike bei seiner Darstellung nicht sehr ausführlich gewesen war. Doch hatte es offenbar schon einmal eine ähnliche Expedition gegeben, obwohl dabei nur waffenfähiges Plutonium verfrachtet worden war und keine kompletten Gefechtsköpfe wie jetzt. Nur einer in der früheren Gruppe hatte gewußt, was da transportiert wurde, und offenbar war jemand auf die Idee gekommen, die schweren Kisten enthielten Gold. Aus diesem Grund war es wahrscheinlich zum Krach gekommen, und das Ganze hatte damit geendet, daß die Männer die Kisten öffneten. Vielleicht hatte es eine Schießerei gegeben, bei der die Männer irgendwie mit dem Plutonium in Berührung gekommen waren. Mike hatte angedeutet, daß alle umgekommen seien.
    Falls diesmal eine ähnliche Situation entstehen sollte, hatte Kolja den Auftrag, den anderen zu erzählen, was für eine Ware sie mitschleppten, daß es also nichts war, was man stehlen und wie Gold oder anderes Schmuggelgut weiterverkaufen konnte.
    Doch da in der Gruppe jetzt eine gute Stimmung herrschte und nur noch wenige Tage zu bestehen waren, schien alles gutzugehen. Kolja sah sehr wohl ein, daß er sich in einer Hinsicht selbst betrog. Sie hatten zwar fast drei Viertel der Strecke bewältigt und damit den größten Teil ihrer Plackerei hinter sich. Außerdem ging es aus mehreren Gründen mit jedem Tag leichter, und überdies konnten sie alle nachts besser schlafen, da die lange tägliche Arbeit allmählich bewirkte, daß die Spannung nachließ. Schon richtig. Die letzte Schwierigkeit bestand jedoch darin, einen hundert Meter breiten Gürtel mit elektronischen Überwachungsvorrichtungen zu überwinden und dann die letzten fünf Kilometer bis zur Grenze zurückzulegen. Wenn bei der Grenzstation der falsche Mann auf sie wartete, konnte alles noch ein sehr schmähliches Ende finden. Doch warum sollte sich andererseits nicht der richtige Mann am richtigen Ort befinden, da sie alle anderen Anstrengungen so gut bewältigt hatten?
    Am wohlsten fühlte sich Kolja beim Umgang mit Juha und Jorma, nicht nur, weil er ihnen gegenüber eine Dankesschuld abzutragen hatte, denn sie hatten ja die gesamte Expedition gerettet. Sie schienen aber auch viel fröhlicher und weniger besorgt zu sein als alle anderen.

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