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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Vaterland ja nicht gerade im Stich gelassen, wenn es um militärische Bestimmungen und militärische Sprache geht. Auch wir haben das Recht auf ein menschliches Leben. Du kümmerst dich um die Aktenordner beim KSI, ich kümmere mich um die Aktenordner hier. Werktags gehen wir um 17.00 Uhr nach Hause, und an den Wochenenden sehen wir uns bei Familienessen und reden beim Cognac über Erinnerungen an alte Zeiten, während die Kinder toben und die Frauen abwaschen.«
    »Die Frauen waschen ab?«
    »Ja. An den Wochenenden. Werktags waschen wir vermutlich ab, und zwar etwa um 19.30 Uhr.«
    »Ist das dein werter Ernst?«
    »Ja, es ist mir ernster, als du deinem Gesichtsausdruck nach zu glauben scheinst. Aber zum Teufel, Åke! Einer von uns dreien ist gestorben. Wir hätten genausogut alle drei sterben können. Wenn es nach der statistischen Wahrscheinlichkeit geht, leben wir schon viel zu lange. Und der gleichen statistischen Wahrscheinlichkeit zufolge kann sich nichts davon wiederholen. Ich meine, es dürfte in der Ostsee nicht mehr viele russische Unterwasserbasen geben, die wir sprengen müssen, und Sizilianer werden wohl kaum weitere Schweden entführen, und so weiter. Solche Dinge können sich einfach nicht wiederholen. Jetzt heißt es Aktenordner, Analyse, Funküberwachung und Familienleben, und das alles ist ziemlich wohlverdient.«
    Åke Stålhandske gab sich die größte Mühe, sein Erstaunen zu verbergen, vermutlich nicht sehr erfolgreich.
    »Nun«, fuhr Carl in einem gespielt geschäftsmäßigen Tonfall fort, »soweit das Private. Doch jetzt wieder zum Geschäft. Luigi hat vom Oberbefehlshaber ebenfalls ein Kommando erhalten. Er wird Hauptmann in der Computereinheit, übernimmt Joars Job und wird praktisch Chef der Datenverarbeitungseinheit. Wir versuchen, unser Haus zu bestellen. Es kommt nämlich darauf an, daß alle diese Ernennungen und Einsätze vor dem 16. September geregelt sein müssen.«
    »Vor der Wahl?«
    »Ja. Die Regierungspartei will uns ans Leder, also müssen wir uns an unseren Stühlen festzurren.«
    »Warum wollen sie uns ans Leder? Was haben wir denn Böses getan?«
    »Bei einfacher gestrickten Politikern und Meinungsführern herrscht die allgemeine Vorstellung«, begann Carl ironisch und holte dann Luft, »nachrichtendienstliche Tätigkeit in Schweden laufe irgendwie darauf hinaus, in fremden Ländern Frauen und Kinder zu ermorden. Ich habe keine Ahnung, wie sie auf solche Ideen kommen, aber jedenfalls wollen sie uns humanisieren und demokratisieren, das heißt möglichst viele Bereiche des Nachrichtendienstes stillegen. Bei den Streitkräften sieht es ähnlich aus. Seitdem die Sowjetunion zu Rußland geworden ist, brauchen wir angeblich keine Landesverteidigung mehr. Unsere Gegner möchten das Geld lieber für Renten und Kindertagesstätten und so weiter ausgeben.«
    »Aha, aber das ist doch hochgradig unvernünftig.«
    »Ja. Aber nun ist es so, daß wir in einer Demokratie leben, und so sind Politiker, die ihre fünf Sinne nicht beisammen haben, durchaus erlaubt.«
    »Aber das kann doch ein furchtbares Durcheinander geben, jetzt da die Sowjetunion zusammenbricht. Viele Monate kann es doch nicht mehr dauern?«
    »Nein, zwei oder drei Monate, vielleicht etwas länger. Wir versuchen gerade, es auszurechnen. Aber was für uns selbstverständlich erscheint, ist es für diese Politiker noch lange nicht. Das liegt zum Teil daran, daß unser Wissen und die daraus folgenden selbstverständlichen Erkenntnisse intelligenterweise so geheim sind, daß nur wir sie kennen. Brauchst du dienstfrei?«
    »Wieso?«
    »Weil du frisch verliebt bist. Wenn Anna sich freinehmen kann, solltest du ein paar Tage verschwinden.«
    Åke lächelte sehr zufrieden, stand auf und gab Carl die Hand.
    »Das lasse ich mir nicht zweimal sagen«, sagte er und deutete einen Gruß an. »Verstanden. Zu Befehl.«
    Sie lachten beide, als Åke den Raum verließ.
    Carl fühlte sich froh und aufgeräumt. Nichts hätte besser zu seinen Vorstellungen von der Organisation des neuen Daseins passen können. ORCA würde in einen sicheren Hafen einlaufen und wie er selbst Zeit für ein menschliches Leben haben.
    Er vermißte seine alte Lebensgewohnheit nicht mehr: Er hatte seit mehr als zehn Jahren täglich Pistolenschießen geübt. Es war nicht nur Übung gewesen, sondern auch Kontemplation; wenn er keine Gelegenheit zum Üben gehabt hatte, war er entweder auf Reisen gewesen oder in Aufträgen unterwegs, bei denen die Waffen gegen lebende Ziele

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