Niemandsland
mit Kernwaffen hantieren zu können. Sie müssen also schon in einem frühen Stadium erfahren, worum es geht. Wenn wir die Grenze zur russischen Seite überschritten haben, müssen sie dann allen anderen mitteilen, worum es geht. Dann kann sich niemand mehr zurückziehen.«
Präsident Koivisto hörte nachdenklich zu. Er nickte von Zeit zu Zeit bekümmert und schien keine Einwände zu haben. Und als der Chef der Schutzpolizei seinen Vortrag beendet hatte, gab ihm der Präsident nur eine sehr knappe Anweisung.
»Na ja, das hört sich alles sehr durchdacht an. Sorge dafür, daß unsere Spezialeinheit so schnell wie möglich gebildet wird, damit wir behaupten können, schon in drei Wochen bereit zu sein.«
Der Chef der Schutzpolizei wollte zu einem Einwand anheben, doch Mauno Koivisto stoppte ihn.
»Ich weiß schon, was du sagen willst, daß es bis Dezember noch lange dauert und daß es Zeitverschwendung und so weiter wäre.
Aber was wissen wir? Moskau ist ein einziges Chaos, und urplötzlich haben wir gar nicht mehr so viel Zeit, wie wir glauben. Wir sollten uns lieber zu sehr beeilen, statt zu spät zu kommen.«
Mit diesen Worten erhob sich der Präsident, und streckte die Hand aus. Das war das Zeichen, daß sowohl die Diskussion als auch das Treffen beendet waren, und hinter Juha Kekomäki war schon der Kanzleichef in der Tür aufgetaucht, als hätten er und der Präsident per Gedankenübertragung kommuniziert.
Juha Kekomäki verbeugte sich stumm und ließ sich hinausbegleiten. Als sich die Tür hinter ihm schloß, richtete er sich auf und beschleunigte seine Schritte, um den Präsidentenpalast möglichst schnell zu verlassen. Ihm standen jetzt einige sehr konkrete Aufgaben bevor, die er in Angriff nehmen mußte.
Der Präsident blieb an seinem Schreibtisch sitzen und legte die Fingerspitzen aneinander. Er grübelte.
Nicht über die technischen oder praktischen Fragen, denn die schienen beherrschbar zu sein. Auch nicht über die Gefahr, der er finnische Soldaten und Polizisten vielleicht würde aussetzen müssen, denn das war ein notwendiger Preis, wenn eine Katastrophe mit weltweiten Folgen vermieden werden sollte.
Dagegen grübelte er darüber nach, wer sein Partner war. Zu Anfang war das selbstverständlich gewesen, denn Gorbatschow war der gewählte Präsident der Sowjetunion.
Aber wenn Rußland sich jetzt für selbständig erklärt hatte, wenn die Ukraine, Rußland und Weißrußland selbständige Staaten außerhalb der Sowjetunion waren – gab es dann die Sowjetunion im eigentlichen Sinne überhaupt noch?
Waren formlose Abmachungen mit dem Präsidenten der Sowjetunion überhaupt das Briefpapier wert, auf dem sie geschrieben standen, dazu noch von Hand, und das in einer Lage, in der Boris Jelzin der Präsident des selbständigen Rußland war? Wer war denn Finnlands Nachbar von den Polarregionen im Norden bis zum Ladogasee im Süden, wenn nicht Rußland?
Und würde Jelzin angesichts der bekannten Animosität zwischen den beiden Männern nicht toben, wenn er erfuhr, daß Gorbatschow eine Abmachung getroffen hatte, die in Wahrheit Rußland und das russische Territorium betraf?
Das waren keine formalen Petitessen. Es ging immerhin um eine Frage, in der sich alle Beteiligten vollkommen einig und überdies voll und ganz über das Tun und Lassen der Gegenseite informiert sein mußten.
Er sollte die Angelegenheit mit seinem Außenminister besprechen. Erstens. Und zweitens sollten sie ohne Zweifel gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, daß es gegenwärtig keine rechtliche Grundlage für ein Tätigwerden auf russischem Territorium gab. Es sei denn, es gelänge, Boris Jelzins Einverständnis zu gewinnen und die Abmachung mit dem sowjetischen Präsidenten nachträglich ratifizieren zu lassen. So wie es jetzt aussah, saßen alle Putschisten zwar hinter Schloß und Riegel, und Gorbatschow befand sich wieder in Moskau. Doch Boris Jelzin war ohne Zweifel der Sieger in dem politischen Spiel, was er Gorbatschow und der ganzen Welt deutlich genug demonstriert hatte. In Wahrheit war schwer zu entscheiden, wer von den beiden Männern eigentlich in Rußland die Macht hatte.
Folglich konnte die gegenwärtige Abmachung nicht gültig sein. Folglich mußte auf finnischer Seite die Nuß geknackt werden, wie man die Diskussion mit Jelzin weiterführen konnte, ohne hinter dem Rücken Gorbatschows zu operieren.
Vielleicht war es sogar am einfachsten, Gorbatschow selbst zu fragen, wie er das Problem sah.
Genau. Natürlich. Das war
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