Niemandsland
die Lösung. So einfach.
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Vier Tage vor der schwedischen Reichstagswahl schien alles schon entschieden zu sein. Die Meinungsumfragen deuteten auf eine überwältigende bürgerliche Mehrheit hin. Es würde also einen Regierungswechsel geben.
Der bürgerliche Block brauchte nichts mehr zu tun, brauchte kein Wagnis einzugehen, keine neuen Vorstöße zu unternehmen, deren Folgen sich unmöglich vorhersehen ließen. Er brauchte sich nur still zu verhalten und ganz allgemein von Steuersenkungen zu sprechen, von Freiheit, von der künftigen Gemeinschaft Europas und dem Tod des Sozialismus.
Trotzdem fehlte es nicht an internen Auseinandersetzungen. Das größte Problem für die drei bürgerlichen Parteien bestand darin, daß eine von ihnen, die Liberalen, sich stark gegen die zunehmende Ausländerfeindlichkeit im Land engagierte. Was sich in den Meinungsumfragen sogleich ungünstig bemerkbar machte.
Auch mußte Schweden zum ersten Mal durchleiden, was die meisten Länder Europas schon miterlebt hatten: nämlich den zunehmenden Erfolg einer populistischen Partei, die sich mit allgemein rechten Parolen, dem Einsatz für ungehinderten Zugang zu Alkohol und offenem Ausländerhaß profilierte und daher erwarten ließ, daß sie auch im Reichstag vertreten sein würde.
Diese politische Partei war selbstverständlich nicht »sozialistisch«. Die bürgerlichen Parteien wollten mit diesen Leuten trotzdem nichts gemein haben. Jedoch stellte sich die Frage, ob eine künftige bürgerliche Regierung im Parlament von einer Gruppe abhängig sein würde, mit deren Angehörigen sich kein Mensch auch nur in einem Zimmer aufhalten wollte.
Eine Konsequenz dieser Arithmetik war es auch, daß die Rangordnung der bürgerlichen Parteien untereinander ins Wanken geriet.
Damit wurde die Versuchung, im Endspurt des Wahlkampfs dramatische Aussagen zu machen, unwiderstehlich. Einige wenige Prozent mehr oder weniger entschieden über den Regierungseinfluß einer Partei in den kommenden Jahren.
Es war der Führer der Zentrumspartei, der keine vier Tage vor einem sicheren Wahlsieg nicht an sich halten konnte. Auf einer Pressekonferenz, wo er von den Klageweibern unserer Zeit, den sogenannten innenpolitischen Reportern, mit der Frage in die Enge getrieben wurde, ob er nicht »im rechten Käfig sitze«, das heißt ob er nicht gezwungen sein werde, nach der Pfeife der Konservativen zu tanzen, nannte er einige Themen, in denen es unterschiedliche Auffassungen gebe. Die Tatsache, daß er gegen die Kernkraft war, nannte er eher beiläufig. Das war allen bekannt, und niemand konnte damit mehr hinter dem Ofen hervorgelockt werden. Doch dann erwähnte er unerhört routiniert, es gebe auch in der Frage der Streitkräfte Gründe, die konservative Rechte auf dem Teppich zu halten. Die Entwicklung in der Welt sei gegenwärtig nicht gerade so, daß ausgerechnet Schweden als einziges Land mit einer dramatischen Aufrüstung beginnen solle. Vor allem solle Schweden natürlich nicht – jetzt kam es mit einem sehr wohlüberlegten Wort – »Todesschwadronen in der Welt herumreisen lassen, die überall nur Unheil anrichteten«.
Das Wort lautete tatsächlich Todes-Schwadronen. Wenn man es trennt, wird es sehr schlagkräftig, und das war auch beabsichtigt.
Im Verlauf weniger Stunden war die Politik wieder mit Volldampf in Gang gekommen. Die regierenden Sozialdemokraten erkannten sofort die Chance, die scheinheilig einigen bürgerlichen Parteien zu spalten, und begrüßten die Äußerung des Zentrumsführers als ein vernünftiges Wort zur rechten Zeit. Es zeige kristallklar, welche abgrundtiefen Unterschiede es beim bürgerlichen Block in gewichtigen ideologischen Fragen gebe.
Doch, natürlich hätten sie schon selbst in der Praxis Entscheidungen der Art getroffen, wie sie der Zentrumsführer vorgeschlagen habe, obwohl man keinerlei Anlaß gesehen habe, diese Frage im Wahlkampf zu behandeln. Die Äußerung des Zentrumsführers zeige dennoch, daß die politische Mitte sehr viel mehr gemeinsam habe als die am rechten Rand angesiedelten Parteien. Die Sozialdemokraten umarmten den Zentrumsführer also und gaben ihm damit den Todeskuß.
Der Führer der Konservativen tobte, sah sich aber genötigt, seine Wut gegen die Regierungspartei zu richten, als hätte er die Äußerung seines gedachten Koalitionspartners gar nicht gehört. Er bezeichnete es als vollkommen irrsinnig, daß die Regierung solche Beschlüsse avisiere. Denn in weniger als hundert Stunden würden diese
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