Niemandsland
seinem Schlaf sack wie ein Wurm. Es war unmöglich einzuschlafen. Er stand vorsichtig auf und hängte sich die Jacke seiner Felduniform um die Schultern, die er bei der Jagd immer noch trug, obwohl einige Jagdgenossen vorsichtig darauf hingewiesen hatten, daß vier große Generalssterne sich in einer Jagdgesellschaft schwedischen Modells, in der alle gleichberechtigt waren, sehr merkwürdig ausnahmen.
Draußen im ersten Licht der Morgendämmerung war die Luft feuchtkalt und kühlte ihn schnell ab. In weiter Ferne hörte er die heiseren Schreie eines Rehs.
Auf dem Rückweg nach Stockholm beschlossen sie fast nebenbei, in ein paar Wochen zu heiraten. Die Zeremonie sollte so schlicht wie möglich werden. Keine Verwandten, kein großes Brimborium, sondern eine reine Privatsache. Nur sie beide.
Die Wohnung am Värtavägen sollten sie behalten, wie er meinte. Es könne ja nie schaden, in der Stadt eine Übernachtungsmöglichkeit zu haben. Sie scherzte, es sei immer besser, nach Hause zu fahren. Sie werde nie wollen, daß er in der Stadt bleibe und sie allein in dem großen Haus lasse. Doch dann wechselte sie das Thema und erzählte, sie habe in der ICA- Halle an einem Stand, an dem für mexikanische Gerichte geworben werde, eine Mexikanerin kennengelernt. Sie stamme aus Tijuana, der Heimatstadt ihrer Mutter, und sie hätten festgestellt, daß sie gemeinsame Bekannte hätten. So klein sei die Welt.
Folglich gab es am Sonntag ein mexikanisches Essen. Sie werkelte hartnäckig mehrere Stunden in der Küche herum und backte sogar Maisbrot, statt etwas Fertiges zu kaufen.
Er fragte sie, ob sie eine Reise machen wolle, mindestens eine Woche, denn frisch verheiratete Eheleute täten das. Sie ging jedoch davon aus, daß sie bei IBM deswegen keinen Urlaub bekommen würde, denn in Schweden gebe es doch Vorschriften, daß man nicht gleich Urlaub nehmen könne. Er entgegnete, das werde sie schon schaffen, wenn sie ihrem amerikanischen Chef nur erzähle, mit wem sie verheiratet sei; in ihrem Büro hatte bis jetzt keiner eine Ahnung von dem wirklichen Grund für ihren Umzug nach Schweden gehabt.
Plötzlich überraschte sie ihn damit, daß sie schwedisch sprach, ein durchaus verständliches Schwedisch. Er mußte ihr versprechen, pro Tag mindestens eine Stunde schwedisch mit ihr zu sprechen, zum Beispiel, wenn sie abends in der Küche ihr Essen machten. Sie müsse üben, und die beiden Abendstunden jede Woche beim Arbeiterbildungsverein seien nicht genug, da sie immerzu nur englisch mit ihm gesprochen habe und überdies in ihrer Abteilung bei IBM ohnehin alle nur englisch sprächen.
Sie waren frühzeitig losgefahren und hatten schon auf den ersten zwanzig Kilometern auf Wiesen und Stoppelfeldern mehr als fünfzig Rehe gezählt. Er setzte sie vor ihrer ehemaligen Wohnung am Värtavägen ab, damit sie schnell hinaufgehen und sich umziehen konnte, bevor sie die U-Bahn nach Kista nahm. Anschließend fuhr er in die Gamla Stan und suchte Johanna Louises Kindertagesstätte. Er trug das noch immer halb schlafende Kind hinein.
Als sie eintraten, erregten sie beim Personal und bei den Müttern natürlich erhebliches Aufsehen; Johanna Louise war nämlich unter dem Namen Jönsson registriert. Er hatte nichts anderes erwartet. Die Erzieherinnen brauchten einige Zeit, um die Sprache wiederzufinden, nachdem er die Situation erklärt hatte. Er sei also Fräulein Jönssons Vater, und heute sei ja wohl der erste Schnuppertag.
Er mußte ihr den Overall ausziehen. Sie quengelte und trat um sich, als er sich damit abmühte. Die verstohlenen Blicke und bemüht guten Ratschläge machten ihn leicht verlegen. Dann wurde er in ein Spielzimmer gewiesen und begrüßte zwei Mütter, die mit ihren Kindern ebenfalls zu einem Schnuppertag da waren. Er bat, telefonieren zu dürfen, und rief Beata an.
»Am Vormittag kann ich auf keinen Fall kommen, weil ich mit Johanna Louise zu einem Schnuppertag in der Kindertagesstätte bin. Nichts darf das verhindern«, sagte er.
Am anderen Ende wurde es zunächst still. Er hörte, wie sie verblüfft Luft holte, und verstand ihr Zögern völlig falsch.
»Ich glaube nicht, daß ich dem OB diese Nachricht überbringen kann«, sagte sie schließlich.
»Dem OB?« fragte er unbeholfen. »Was hat denn der OB mit der Kita zu tun?«
»Das kann man sich fragen«, entgegnete Beata sehr knapp, »jedenfalls sitzt er hier und wartet auf dich. Sam ist auch da. Sie haben schon fünf oder sechs Mal angerufen und nach dir
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