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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nicht unser Problem. Außerdem
haben wir nicht die Zeit -«
    »Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie
wüßten, Sie hätten sie hier herausholen können, haben es aber nicht getan?«
    Seine Augen blitzten zornig im
Mondlicht, als er den Blick auf mich richtete. »Und das sagt mir eine Person,
die den Wunsch eingesteht, daß sie selbst mal zwei Leute umlegen wollte?«
    »Ich hatte gute Gründe. Außerdem zählt
nach Ihrer Aussage nur die Tatsache, daß ich es nicht getan habe.«
    Einen Augenblick lang sagte er nichts.
Dann: »Ach, verdammt. Schaffen wir sie da raus. Los.« Er ging zur Treppe.
    »Sie machen das.«
    »Wie bitte?«
    »Ich nehme an, sie hören eher auf Sie
als auf uns beide. Wenn Sie ein Funkgerät haben, können Sie der Polizei wegen
Ong Bescheid sagen. Wenn nicht, schicken Sie einen von ihnen in die Stadt, daß
er es von dort aus tut.«
    »Was machen Sie währenddessen?«
    »Ich versuche, den Eingang zu diesem
Tunnel zu finden. Sie können nachkommen — «
    »Nein, McCone.«
    »Doch, Ripinsky.«
    Wir sahen uns an.
    Hy sagte: »Nicht zweimal in einem
Leben.«
    »Wie bitte?«
    »Sie gehören zur gleichen
gottverdammten Sorte von Sturschädeln wie meine verstorbene Frau, und zweimal
hat ein Mann solchen Kummer nicht verdient.« Er warf wütend die Arme in die
Luft. »Sie haben gewonnen — ich schaffe sie raus und komme dann nach. Aber ich
warne Sie — versauen Sie die Sache und gehen dabei drauf, dann haben Sie
doppelt verloren.«
    »Wieso?«
    »Weil Sie dann nie herausfinden werden,
McCone, wie gut wir beide zusammenpassen.«
    Ohne mir eine Chance auf eine Antwort
zu geben, ging er die Stufen hinab und zur Zufahrtsstraße.

28
     
    Als ich Hy nicht mehr sah, ging auch
ich die Stufen der Veranda hinunter. Doch da der Mond meine ohnehin schon
ausgeblichene hellbraune Jacke noch heller erscheinen ließ, konnte ich so nicht
weitergehen. Unter der Jacke trug ich ein burgunderrotes Sweatshirt. Es war
dunkel genug, daß es mich nicht verriet, aber zu leicht, um die Kälte
abzuhalten.
    Ich legte Lampe und Seil aus der Hand
und ging in Lily Nikles’ Haus, um nach einem zurückgelassenen Kleidungsstück zu
suchen, das ich statt der Jacke tragen konnte. Die Zimmer waren alle so gut wie
ausgeräumt, nur am Haken hinter der Küchentür hing ein schweres schwarzes
Wollhemd, das sie wohl vergessen hatte. Ich tauschte es gegen die Jacke.
    Hys 38er hatte ich in der tiefen Tasche
meiner Jacke transportiert, aber das Hemd hatte keine Tasche, die groß genug
dafür war. Weil ich die Hände frei haben mußte, schob ich die Waffe rechts in
den Gürtel — weit genug nach hinten, daß sie mir nicht im Weg war, aber immer
noch leicht zu greifen. Die Lösung gefiel mir zwar nicht besonders, aber es war
die beste, die es im Augenblick gab. Ich ging wieder nach draußen, schlang mir
das Seil um die Schultern, hob die Lampe auf und machte mich auf den Weg in den
nördlichen Teil der Mesa.
    Unterwegs wurde mir immer
unbehaglicher. Die überwältigende Stille, die dunklen Schatten, die das
Mondlicht warf, die kahle Landschaft, die nur wenig Deckung bot: Das waren
lauter schwerwiegende Hindernisse. Dazu kam noch, daß ich die Gegend nicht
kannte und nur eine vage Vorstellung davon hatte, wo der Eingang zum Stollen
sein konnte; daß sich dort ein verrückt gewordener Mann mit einer Geisel und
einer gehörigen Portion Dynamit aufhielt und die Ungewißheit, wie die
Wachmannschaft auf Hys Erscheinen reagieren würde — das zusammen sah alles
andere als gut aus. Ich beschloß, nicht weiter darüber nachzudenken und mich
auf das zu konzentrieren, was jetzt unmittelbar und konkret vor mir lag.
    Paß auf, wohin du trittst. Achte auf
Gestalten im Schatten. Benutze alle deine Sinne — und deine Intuition.
    Ich erreichte den Fuß des verbogenen
Stahlgerippes der Stampfmühle, ging daran vorbei und kletterte bergan.
    Die angespannte Konzentration ließ
verwirrende Gefühle in mir hochkommen: zuerst den heftigen Wunsch, heimzugehen
und bekannte Orte und Menschen zu sehen; dann eine Welle der Sehnsucht nach
George und dem angenehmen Leben, das wir im großen und ganzen führten. Mir
fielen wieder die Worte ein, die ich als letztes zu ihm gesagt hatte: »Wir
reden darüber.« Und wenn ich das hier nicht überlebte und das Gespräch nie mehr
stattfinden konnte? Wie würde er die Bruchstücke eines Lebens neu
zusammensetzen, das erst vor einem knappen Jahr so heftig
durcheinandergerüttelt worden war?
    Aus der Sehnsucht wurde ein
Schuldgefühl,

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