Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
und Knie nieder und schob die Lampe
in die Öffnung. Holte tief Luft und kroch hinterher.
    Der Stollen verlief schräg abwärts.
Zentimeter für Zentimeter kroch ich weiter, schob die Lampe vor mir her und gab
mir Mühe, die Wände, die mich bedrückten, zu ignorieren. Ein paarmal verfing
sich das Seil. Ich riß es mit einem Ruck wieder los. Das allerletzte Stück des
Weges fiel so steil ab, daß ich fast in die größere Kammer hinabgestürzt wäre.
Die Lampe rollte mir davon, und ihr Strahl vollführte einen wilden Tanz auf den
kantig behauenen Felswänden. Ich richtete mich auf, packte die Lampe und
leuchtete in die Runde.
    Die Sohle, in der ich mich befand, war
ungefähr zwei Meter hoch und fast genauso breit. In die seitlichen Wände
führten immer wieder tiefe Höhlen — Strossen, wie Hy sie genannt hatte — , und
man konnte sehen, wie das Erz aus einer Ader herausgebrochen worden war. Der Boden
war mit der Zeit glattgetreten worden und spiegelte das Licht der Taschenlampe
wider, als wäre er naß. Nach siebenhundert Metern verschwand die Sohle in einer
Biegung im Dunkeln.
    Ich nahm das Seil von den Schultern und
machte an einem Ende eine Schlinge. Befestigte sie an einem Vorsprung am Fuß
der nächsten Strosse. Dann legte ich mir den Rest des Seils über den Arm und
hielt mich nah an der Wand. Knipste die Lampe aus und tastete mich weiter,
wobei ich das Seil langsam abwickelte. Als ich an der Biegung der Wand ankam,
blieb ich stehen und lauschte.
    Nirgends ein Geräusch. Nur ein tiefes
Todesschweigen, das bis zum Mittelpunkt der Erde reichen mußte.
    Aber da war etwas... Nein, nur mein
eigener Atem. Ich hielt ihn an, hörte deutlich mein Herz schlagen. Dann folgte
ich der Biegung. Blieb wieder stehen und glaubte, ich hätte eine Bewegung
bemerkt. Und dann hörte ich ein Stöhnen.
    Es kam von rechts vorne. Ich ließ noch
ein wenig Seil nach und schlich weiter. Der Boden neigte sich und wurde wieder
eben. Das Stöhnen wiederholte sich nicht.
    Ich wollte die Lampe anmachen,
fürchtete mich aber vor dem, der im Finstern lauern konnte. Die Dunkelheit
behinderte mich, aber sie schützte mich auch. Ich bewegte mich weiter und
merkte, daß das Seil zu Ende ging. Ich hatte kein Gefühl mehr für Entfernungen.
Die Zeit war dehnbar, die Wirklichkeit zur Erinnerung geworden.
    Ein gleitender Schritt. Der nächste.
Das Seil hatte nur noch wenige Meter. Noch ein Schritt, die Hand am eiskalten
Felsen. Wenn das Seil zu Ende war, mußte ich das Licht anknipsen, um in diesen
schwarzen Eingeweiden der Mesa nicht die Orientierung zu verlieren...
    Mein Fuß stieß gegen etwas Weiches.
Diesmal folgte ein anderer Ton: eindeutig ein protestierender Seufzer.
    Ich schaltete die Taschenlampe ein.
Fast unmittelbar zu meinen Füßen lag Lionel Ong, eingewickelt in mehrere
Schichten grauer Decken.
    Zuerst hielt ich ihn für halb
bewußtlos, aber als ich mich prüfend über ihn beugte, riß er angsterfüllt die
Augen auf. Ich zog die Decken fort und sah, daß er in Embryo-Haltung gefesselt
lag, die Fuß- und Handgelenke zusammengebunden. In seinem Mund steckte ein
schmutziger Knebel. In den Mundwinkeln klebte getrocknetes Blut. Er hob den
Kopf zu mir hoch, und ich hörte, wie die Knochen in seinem Nacken von der
Anspannung knirschten.
    Ich hatte vorher mein Schweizermesser
aus der Handtasche genommen und in die Jeans gesteckt. Jetzt holte ich es
heraus und zerschnitt Ongs Fesseln. Er hielt still, als ich den Knoten in
seinem Knebel durchsägte und schwieg auch noch, als ich ihn herausgezogen
hatte.
    Ich bedeutete ihm, ruhig zu bleiben und
half ihm, sich aufzusetzen. Er beugte und streckte die Finger. Ich hielt die
Taschenlampe nach oben und untersuchte die Kammer, in der wir uns befanden. Es
schien sich um einen Querschlag zwischen der Sohle, die ich gekommen war, und
einer parallel laufenden zu handeln. Aus der Wand ragte ein einzelner
Kerzenleuchter aus rohem Eisen. Hart gewordenes Wachs in vielen Farben war auf
den Felsen darunter getropft. Das war alles bis auf Ong und seinen Kokon aus
Decken.
    Ong massierte sich Hand- und
Fußgelenke. Seine Kiefer arbeiteten, als er sich mit der trockenen Zunge über
die aufgesprungenen und blutenden Lippen fuhr. Ich hockte mich neben ihn und
hielt den Mund an sein Ohr. »Was hat er vor?«
    Ongs Antwort war ein Krächzen. Er
schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht, als wolle er Speichel sammeln. Er
brauchte eine Minute, bis er sprechen konnte. »In die Luft jagen.
Sprengladungen hier unten. Und

Weitere Kostenlose Bücher