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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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über
der Green Street und verbreitete die elegante und leicht dekadente Atmosphäre
der zwanziger Jahre. Der Brunnen war mit Kacheln mit einem Weinblattdekor
verkleidet. Die Pflanztöpfe erinnerten an Marmorurnen. Knorrige Glyzinien
überwucherten Balkone und maurische Bögen. Wenn abends jenseits der Golden Gate
Bridge die Nebelhörner tuteten und der Hof im Nebel lag, erwartete man, jeden
Augenblick unheimliche Gestalten im fahlen Lichtschein der schmiedeeisernen
Laternen auftauchen zu sehen oder ein engumschlungenes Liebespaar bei einem
eiligen, heimlichen Treffen.
    Doch Ma konnte nichts Romantisches
daran entdecken. Sie sagte: »Ich hoffe, er wohnt im Erdgeschoß.«
    »Erster Stock.« Ich schob sie zum
Aufgang, der direkt in Georges Wohnung führte.
    Meine Mutter ließ einen gequälten
Seufzer hören, als sie sich an den erneuten Aufstieg machte.
    Ich wußte, ihre Klagen waren reine
Rituale und entbehrten jeder Grundlage. Mit ihren zweiundsechzig Jahren ist Ma
so munter drauf wie ich selbst und genauso gesund. Wir haben den gleichen
Körperbau — mittelgroß und schlank — , und abgesehen von den grauen Streifen in
ihrem roten Haar hätte uns jeder, der uns die Treppe hinauf folgte, für Schwestern
halten können. Aber Ma hält es für ihr gottgegebenes Recht, sich jederzeit über
alles und jedes zu beschweren, und vielleicht hat sie ja recht. Immerhin hat
sie fünf schwierige McCones großgezogen, sich um zahllose Enkelkinder gekümmert
und mußte über vierzig Jahre lang mit einer ganzen Reihe von Eigenarten meines
Vaters fertig werden.
    George kam in einer blauweißgestreiften
Schürze an die Tür, meinem Geburtstagsgeschenk vom letzten August. Wie jedesmal
gab es mir einen freudigen Stich, als ich seine große, schlanke Gestalt vor mir
sah und sein schönes, kantiges Gesicht, das jetzt von der Hitze in der Küche
gerötet war. Eine widerspenstige graue Locke hing ihm in die Stirn. Er umarmte
mich etwas ungeschickt, weil ihm sein Asbesthandschuh im Wege war. Bevor er
meiner Mutter die Hand gab, zog er ihn aus. Von drinnen schlugen uns wunderbare
Gerüche entgegen.
    »Was gibt es denn?« fragte ich, als wir
in den Flur traten.
    »Dieses Stew mit Kräutern, weißt du,
das mit Biskuits überbacken wird.«
    Ma wirkte beeindruckt. Ich lächelte
wissend. Georges häusliches Gehabe war nichts als Show, um Ma für sich
einzunehmen. Das Stew kam tiefgekühlt aus einem kleinen Bistro an der Hyde
Street. Man erhitzte es, machte dann eine Rolle gefrorener Buttermilchbiskuits
auf und überbackte beides zusammen. Ich hoffte, daß George die Verpackung im
Müllschlucker versenkt hatte für den Fall, daß Ma vorhatte, in seiner Küche
herumzuschnüffeln.
    Er setzte hinzu: »Führ deine Mutter
doch ins Wohnzimmer. Ich komme mit Champagner nach.«
    »Champagner«, sagte Ma. »Hm.«
    Ich war mir nicht sicher, wie sie das
meinte, beschloß aber, nicht zu fragen, und führte sie in den vorderen Teil der
Wohnung, wo man über die Dächer der Nachbarhäuser einen Blick auf die Bucht
hatte. Ma stellte ihre Handtasche auf einen Beistelltisch und widmete dem Raum
einen intensiven, rasch abschätzenden Blick. George hatte, was die Einrichtung
anging, einen modernen, aber modern-konservativen Geschmack. Offensichtlich
fand sie an den sandfarbenen Wänden, dem weichgepolsterten braunen Sofa und den
dazu passenden Sesseln nichts auszusetzen. Ein wild-abstraktes Gemälde über dem
Kamin dagegen und eine Drahtskulptur auf dem Kaffeetisch bedachte sie nur mit
einem schiefen Blick. Neben der Skulptur stand eine Platte mit Leberpastete und
Crackers. Ma, die Leber haßt und uns als Kinder niemals zum Essen vorsetzte,
ließ sich so weit entfernt davon wie möglich nieder.
    George kam mit einer Käseplatte herein,
stellte sie ab und ging den Champagner holen. Dem Käse rückte Ma ein wenig
näher. George kam zurück und machte ein großes Trara um das Öffnen der Flasche,
das Einschenken und das Zuprosten »auf die beiden wunderbaren McCone-Ladies«.
Ich zuckte innerlich zusammen, weil ich fürchtete, er trüge zu dick auf, aber
zu meiner Überraschung wurde Ma doch tatsächlich rot.
    Vielleicht wurde das doch noch ein
guter Abend.
    »Wann ist Ihre Maschine gelandet?«
fragte George sie.
    »Ich bin per Bus gekommen. Wenn es sich
vermeiden läßt, gehe ich weder in die Luft noch aufs Wasser.«
    »Angesichts der Sicherheitsvorkehrungen
bei den Luftlinien heutzutage ganz sinnvoll.«
    »Außerdem nicht so teuer.« Sie schenkte
ihm einen strengen

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