Niemandsland
Blick. »Aber ich nehme an, das ist für Sie unerheblich. Ich
höre von Sharon, daß Sie recht wohlhabend sind.«
Ich verschluckte mich am Champagner und
mußte husten. George kam herüber und klopfte mir auf den Rücken. Seine braunen
Augen sprühten vor Vergnügen.
»Ja«, sagte er über meinen Kopf hinweg,
»das stimmt. Ich wünschte, ich könnte sagen, daß ich es verdient hätte. Aber es
ist nur geerbt.«
»Geld«, sagte Ma zu ihm, »ist eine
feine Sache, solange man sich nicht von ihm beherrschen läßt. Ich persönlich
habe große Achtung vor dem Wert eines Dollars, und ich habe versucht, das
meinen Kindern mit auf den Weg zu geben.«
Ich starrte sie verwundert an. Die
Bedeutung des Geldes war in unserem Haushalt immer heruntergespielt worden, und
größtenteils wohl, weil bei den McCones niemand, auch kein entferntester
Verwandter, die Fähigkeit besessen hatte, es herbeizuschaffen.
»An Ihrer Stelle würde ich mich nicht
unbehaglich fühlen wegen Ihres Erbes«, fügte Ma hinzu. »Schließlich arbeiten
Sie ja. Stanford ist eine sehr gute Universität.«
George ging zurück zu seinem Sessel.
»Mein Vater hat mich in der Überzeugung erzogen, daß ein erwachsener Mensch,
gleichgültig, wie wohlhabend er ist, irgendeine nützliche Arbeit tun sollte.«
Ma nickte und ließ sich sogar dazu
hinreißen, einen Klacks Pastete auf einen Cracker zu schmieren. »Ihr Vater
hatte recht. Andy — Sharons Vater — und ich haben versucht, diese Einstellung auch
unseren Kindern zu vermitteln. Unglücklicherweise haben alle diesen Versuchen
widerstanden, bis auf Sharon. Aber sie sind sehr unabhängig und sehr
selbständig geworden.«
Jetzt fiel mir das Kinn herunter. Meine
älteren Brüder John und Joey haben den größten Teil ihres bisherigen
Erwachsenenlebens damit zugebracht, in das große und weitläufige Haus meiner
Eltern in San Diego ein- und wieder auszuziehen. Charlene hat alle ihre sechs
Schwangerschaften dort zugebracht. Patsy kommt nie heim, aber sie hat es im
Laufe der Jahre fertiggebracht, sich von meiner Familie eine ganz hübsche Summe
zusammenzuschnorren. Und meine Art von Unabhängigkeit hat Ma stets als Beweis
für einen schweren Mangel an Charakter betrachtet.
George füllte Mas Champagnerglas wieder
auf. Ich runzelte die Stirn. Ma hatte nie viel getrunken. Sie schmierte sich
einen neuen Cracker mit Pastete, verschlang ihn mit offensichtlichem Genuß und
beugte sich vertraulich vor.
»Sind Sie katholisch, George?«
»Nein, leider nicht.«
Sie wartete.
»Ich bin methodistisch erzogen.«
»Na gut, dann glauben Sie zumindest an
etwas.« Ma nahm einen Schluck Champagner und fuhr mit ihrer Neufassung unserer
Familiengeschichte fort.
Das falsche Bild: Sie und Andy waren
sehr fromm.
Die Wirklichkeit: In den letzten zehn
Jahren hatte Ma keinen Gottesdienst mehr besucht, und Vater verbrachte seine
Sonntagvormittage in der Garage, wo er herumwerkelte und dazu schlüpfrige
Volkslieder sang.
Das falsche Bild: Wir Kinder erhielten
unseren Religionsunterricht in der Kirche und wurden gut katholisch erzogen.
Die Wirklichkeit: John und Joey
besuchten die katholische Schule, wurden aber wegen zu häufiger Schlägereien
und anderer unzuträglicher Geschichten, über die bis heute niemand reden
möchte, hinausgeworfen. Als einziges weißes Schaf in der Familie kam ich zwar
durch den Katechismus, aber Charlene wurde als unverbesserlich entlassen, und
Patsy weigerte sich schlicht, überhaupt am Religionsunterricht teilzunehmen.
Das falsche Bild: Unsere festen
katholischen Grundsätze waren uns ein guter und solider Halt, nachdem wir in
die Welt hinausgegangen waren.
Die Wirklichkeit: John ist geschieden.
Joey lebt hin und wieder in Sünde mit einer Frau zusammen. Ich habe in dem
Sommer, als ich sechzehn wurde, Beichte und Heilige Messe drangegeben und hatte
zum erstenmal Sex. Die Größe von Charlenes Familie hat nichts mit dem
päpstlichen Gebot zu tun, sondern allein mit der Tatsache, daß sie sich vor
ihrer Tubenligatur kaum um Geburtenkontrolle gekümmert hat. Und Patsys drei
Kinder sind unehelich, jedes hat einen anderen Vater.
Nachdem die Geschichte nun revidiert
war, kam Ma auf das Thema, vor dem ich mich gefürchtet hatte. Ich füllte mein
Glas und nahm allen Mut zusammen.
»Sie sind gerade geschieden, George?«
»Ja, Ma’am.«
»Ich hoffe, nicht wegen meiner
Tochter.«
Ȁh, nein. Meine Ehe war gescheitert,
lange bevor ich Sharon kennenlernte.«
»Sie hatten sich
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